Zweisprachige Erziehung - Kita kinderzimmer Hamburg

Zweisprachige Erziehung – wie funktioniert das?

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Text: Aljoscha Rieger | Foto: Sonja Tobias

Es ist eine Silbe, die unauffälliger nicht sein könnte: da. Oder, genauer: da-da. Aber für Kinder ist sie schon ganz früh wichtiger Teil der Identität. Und das liegt an ihrer Aussprache. Während deutsche Kinder eine Betonung der ersten Silbe als zu sich gehörig identifizieren (da-da), muss es bei französischen Kindern die zweite sein (da-da). Die muttersprachliche Verbindung mit diesen Lauten erfolgt bereits im Mutterleib. Sie müssen jetzt aber keine Angst haben, dass Ihr heranwachsendes Baby alles mitschneidet, was Sie mit großem Bauch von sich geben. Die Lautverarbeitung der Sprache ist ähnlich wie die der Musik: Tonhöhen und Rhythmen werden aufgenommen und erinnert, jedoch wirkliche Melodien oder die Bedeutung des Gesagten – sprachwissenschaftlich: die Semantik – kann das Ungeborene noch nicht erfassen.

Ist das Kind dann auf der Welt, sind es genau diese Rhythmen und Töne, die für ein Gefühl der Geborgenheit sorgen. Mamas Stimme beruhigt und vermittelt Sicherheit. Doch was ist, wenn es unterschiedliche Laute sind, mit denen das Kind aufwächst? Muss das nicht verwirrend sein? Die Wissenschaft ging lange davon aus, dass Einsprachigkeit das „Normale“ und „Wünschenswerte“ sei. Durch eine gesellschaftliche Betrachtung der Mehrsprachigkeit wurde diese These widerlegt. Inzwischen weiß die Forschung nämlich ganz klar: Jedes Kind kann spielend leicht mit mehreren Sprachen aufwachsen, wenn sie korrekt vermittelt werden – und das sogar vorm ersten Lebensjahr. Die Sprachfähigkeit ist schließlich grundlegendes Merkmal des Menschseins. Wichtig ist allerdings, dass es eher schädlich für die Sprachentwicklung ist, wenn man selbst nicht Muttersprachler ist und mit dem Kind zum Beispiel Englisch spricht, weil sich vor allem kleinste Fehler im Klang übertragen. Wenn schon Bilingualität, dann nur, wenn das Kind mit einem Muttersprachler aufwächst: Mama, Papa, Opa, Oma, das Au-pair oder Kindermädchen – oder eine Erzieherin beziehungsweise ein Erzieher. Der anfänglichen gesellschaftlichen und auch wissenschaftlichen Ablehnung der Zweisprachigkeit liegt ein nachvollziehbarer Denkfehler zugrunde. Wenn das Kind schon früh mehr Hirnkapazität aufwenden muss, um die doppelte Menge an Begriffen und sprachlichen Konzepten zu lernen, muss das doch zwangsweise dazu führen, dass beide Sprachen nur halb gelernt werden. Ja, dass ein Kind sogar insgesamt später anfängt zu sprechen, das ist für viele Eltern die häufigste Angst vor einer bilingualen Erziehung im Kindergarten. Doch das Erlernen der eigenen Sprache verläuft nicht wie das Befüllen mehrerer Gläser aus einem Wasserkrug. Es ist sozusagen genug für alle da.

Wie das? Bei Bilingualität unterscheidet man zwischen simultaner und sukzessiver Zweisprachigkeit. Bei der simultanen lernt ein Kleinkind von Geburt an zwei Sprachen gleichzeitig, im Laufe der Zeit kann das Kind beide automatisch unterscheiden, hat also zwei Muttersprachen. Bei sukzessiver Zweisprachigkeit wird die zweite Sprache erworben, wenn die andere bereits zu großen Teilen verinnerlicht wurde (ab etwa drei Jahren). Man kann auch zwischen der natürlichen Zweisprachigkeit, die zu Hause erlernt wird, und der kulturellen, die in der Kita erlernt wird, unterscheiden.

Erwirbt das Kind zur ersten Sprache nahezu unbewusst eine zweite – also bereits vor dem eigentlichen Spracherwerb –, kann diese ebenso gut und ohne Verlangsamung des Sprachlernprozesses genutzt werden. Hören Kinder bereits im Krippenalter zwei Sprachen, bevor sie richtig sprechen können – also in kultureller Zweisprachigkeit, die quasi die simultane Zweisprachigkeit imitiert –, fangen sie auch automatisch an, in beiden Sprachen zu reden, sobald sie so weit sind.

Zweisprachige Erziehung in der Kita kinderzimmer

Im kinderzimmer arbeiten wir in bilingualen Gruppen genauso wie in den anderen Gruppen, nur eben auf Englisch und auf Deutsch – es gibt einen englischen Muttersprachler und einen deutschen. Lernen nach dem Immersionsprinzip bedeutet, dass Ihr Kind bereits in der Kita in die Sprache wie in ein Sprachbad eintaucht, weil das Kind sie jeden Tag hört und der Muttersprachler ausschließlich Englisch spricht. Das Lernen ist alltagsintegriert und nimmt Bezug auf die Lebenswelt des Kindes. Das ist wie gesagt bereits im Krippen-alter sinnvoll – und auch, wenn die Sprache zu Hause gar nicht gesprochen wird.

Wer von Elitebilingualismus spricht, lässt eine wichtige gesellschaftliche Entwicklung außer Acht: Immer mehr Kinder haben ihre Wurzeln in anderen Ländern und Kulturen und wachsen deshalb bilingual auf. Ein wichtiger Entwicklungsvorteil bilingualer Kinder ist, dass sie früh abzuschätzen lernen, in welchem Kreis von Menschen sie welche Sprache verwenden können. Die früher angenommene Verlangsamung der Intelligenzentwicklung ist deshalb ein Irrtum, es ist sogar so, dass bilingual aufwachsende Kinder einen viel bewussteren Umgang mit Sprache pflegen und daher einen kleinen Vorsprung haben. Und dieser kleine Vorsprung zählt vielleicht in einer globalisierten Welt. Darüber hinaus fördert Mehrsprachigkeit beim Kind Neugier, Aufmerksamkeit, Offenheit und Selbstbewusstsein.

Eine brennende Frage aller Eltern ist deshalb allerdings: Muss ich mein Kind bilingual erziehen? Die Antwort darauf ist ein klares Nein. Wenn andere Kinder in der Kita schon mit Papa italienisch und mit Mama deutsch sprechen, ist das sicher beeindruckend, aber keine Notwendigkeit. Für Ihr Kind ist beim Abenteuer Aufwachsen wichtig, ganz ohne Druck die Umwelt zu erkennen und auch sprachlich zu begreifen. Aber wenn man sich entscheidet, das Kind bilingual aufwachsen zu lassen oder dem Kind früh eine Fremdsprache von außen zu vermitteln, sollte dies immer durch einen Muttersprachler erfolgen, da es vorrangig erst mal nicht um Vokabeln, sondern Klang, Melodie und authentische Betonung geht.

Multilingualität begleitet unseren Autor seit Kindertagen, schließlich trägt er einen russischen (Aljoscha), einen arabischen (Malik) und einen althochdeutschen Vornamen (Leonhard). Von diesen drei Sprachen beherrscht er zwar nur eine, ist aber überzeugt, dass man nie auslernt.