Mathematik
Sind MĂ€dchen weniger verliebt in Technik?
Das Interesse an Naturwissenschaften, Technik und Mathematik ist im Kindergarten bei beiden Geschlechtern noch recht ausgeglichen, das Àndert sich aber zur Grundschulzeit. Wieso ist das eigentlich so? Und worauf sollten Eltern achten, um ihr Kind vor der Genderfalle zu bewahren?
Text: Christian Heinrich | Foto: I Like Birds

Die groĂe Frage, aus der sich alles andere ergibt, stellen wir Ihnen gleich zu Anfang: Interessieren sich Jungen tatsĂ€chlich mehr fĂŒr Mathematik, Ingenieur- und Naturwissenschaften und Technik als MĂ€dchen?
Zumindest hört man immer mal wieder davon. Von Eltern, die den Eindruck haben, dass ihre MĂ€dchen lieber die Geschichte von Dornröschen nachspielen â und die ihnen dann auch nur âPrinzessinnenâInput zum Spielen geben, wĂ€hrend die Söhne wohl eher mit zwei GlĂ€sern Wasser durch Hin- und HerschĂŒtten die Gesetze der Physik erkunden und zum Bauen und Konstruieren angeregt werden. Von Erziehern, denen auffĂ€llt, dass MĂ€dchen eher angeregt plaudernd fĂŒreinander Bilder malen, wĂ€hrend Jungen mit wenigen Worten ein Auto in seine Einzelteile zerlegen und wieder zusammenzubauen versuchen. Klischees, oder ist etwas Wahres daran?
Systematisch nĂ€hert sich die Forschung diesem Thema an, in Hunderten Studien hat sie sich mit der Fragestellung befasst. Dr. Elisa Oppermann, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Arbeitsbereich FrĂŒhkindliche Bildung und Erziehung der Freien UniversitĂ€t Berlin, hat sich gemeinsam mit Kolleginnen einen GroĂteil der Untersuchungen genauer angeschaut. Das Ergebnis: Ja, Jungen sind tatsĂ€chlich interessierter an Themen aus dem MINT- Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) â allerdings erst im fortgeschrittenen Grundschulalter, etwa ab der zweiten Klasse. Im Kita und im Kindergartenalter hingegen sieht die Sache anders aus: Hier gibt es keine Hinweise darauf, dass sich das Interesse von Jungen und MĂ€dchen an technisch naturwissenschaftlichen Themen unterscheidet.
Offenbar entwickeln sich in den spĂ€ten Kindergarten- und den frĂŒhen Grundschuljahren die bis dahin gleichen Interessen von MĂ€dchen und Jungen in verschiedene Richtungen. Zu einem kleinen Teil kann daran natĂŒrlich auch die genetische Ausstattung beteiligt sein, die sich teilweise erst im Laufe des Lebens entfaltet. Aber wesentlich gröĂer dĂŒrfte der soziale und kulturelle Einfluss sein: die geschlechtlichen Rollenbilder der Gesellschaft, wie Frauen und MĂ€nner gesehen werden und klassischen Anschauungen zufolge sein sollen.
Dass sich diese Unterschiede in vielen Bereichen real auf das Leben der Kinder auswirken, konnten Forscher in zahlreichen Studien zeigen. So scheint die Erwartungshaltung der Eltern von ihrem Geschlechterrollenbild â sei es bewusst oder unbewusst â geprĂ€gt zu sein: Bei gleicher Leistung schĂ€tzen Eltern einer Untersuchung zufolge die MathematikfĂ€higkeit ihrer Söhne höher ein als die ihrer Töchter. In einer anderen Studie konnte gezeigt werden, dass Eltern fĂŒr ihre Söhne mehr mathematik- und naturwissenschaftsbezogenes Spielzeug kauften als fĂŒr ihre Töchter. Die meisten Eltern werden das nicht absichtlich gemacht haben, um ihre Söhne in Richtung Naturwissenschaften und die Töchter in Richtung Geisteswissenschaften zu drĂ€ngen. Doch unbewusst scheinen die noch immer vorherrschenden Geschlechterrollen hier einen Einfluss auszuĂŒben. Die Folge: MĂ€dchen trauen sich schon in der Grundschule in den Bereichen Mathematik und Naturwissenschaften nachweislich weniger zu als Jungen. Das beeinflusst natĂŒrlich auch das Interesse, ist es doch dort besonders hoch, wo man sich wohlfĂŒhlt und glaubt, Erfolge erzielen zu können.
Wichtig ist: Was interessiert das einzelne Kind?
Was lĂ€sst sich dagegen tun? ZunĂ€chst sollte man sich klarmachen: Mit welchen Rollenbildern sind die Kinder im Alltag konfrontiert? Zentral sind dabei natĂŒrlich die Eltern und Erzieher, aber auch Werbung und Spielzeug haben Einfluss. Dabei geht es nicht darum, alle Rollenbilder bewusst zu sabotieren oder zu neutralisieren. Wichtig ist aber, verschiedene Möglichkeiten zu vermitteln. âDie Kinder sollten frĂŒh anhand vielfĂ€ltiger Rollenvorbilder sehen, dass ihre persönlichen Interessen nicht irgendwelchen Stereotypen folgen mĂŒssenâ, sagt Bettina Schmidt von der gemeinnĂŒtzigen Stiftung âHaus der kleinen Forscherâ, die sich fĂŒr frĂŒhe Bildung in den MINT-Bereichen engagiert.
Auf diese Weise werden die Rollenbilder aufgelockert. Und das gelingt ganz einfach, indem man die PrioritÀten richtig setzt. Es sollte immer darum gehen: Was interessiert das einzelne Kind? Und nicht: Was interessiert MÀdchen und was Jungen?