Können Kinderfreundschaften für immer sein? - Kita kinderzimmer Hamburg

Können Kinderfreundschaften für immer sein?

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Ich box Dich, also mag ich Dich.

Text: Catharina König

Der Tag, an dem Jonna ihre beste Freundin Paula ken­nenlernte, war der Tag, an dem Paula die schüchterne Jonna umschubste. Die beiden Einjährigen absolvierten gerade die Eingewöhnung in der Krippe. „Die Kontakt­aufnahme geschieht oft durch scheinbare Ablehnung, also Boxen, Hauen und Stoßen“, erklärt Margarete Blank ­Mathieu, Dozentin für Sozialwesen und ehema­lige Kindergärtnerin. Was das Kind, aus Mangel an sprachlichen Fähigkeiten, damit aber eigentlich signa­lisieren wolle, sei: Komm, spiel mit mir!

Jonna verstand den Annäherungsversuch, nahm ihn nicht krumm, und nahezu vom ersten Tag an waren die zwei unzertrennlich. Als Jonnas Mutter aber die Eltern von Paula sah, war sie zunächst nicht so begeistert. Die wirkten nicht, als könnte man mit ihnen gut einen Nach­mittag auf dem Spielplatz verbringen. Wäre es nicht viel passender, die kleine Jonna freundete sich mit Alexa an? Allein: So funktioniert das nicht. Kinder wählen ihre Freunde selbst. Freundschaften könne man nicht er­zwingen, erklärt Dr.Wolfgang Krüger, Psychotherapeut und Buchautor: „Man kann gute Voraussetzungen da­für schaffen, indem man selbst ein Vorbild für Freund­schaften ist, Gäste einlädt und vor allem: indem man Kindern ein gutes Selbstbewusstsein vermittelt und durch gute Beziehungserfahrungen – dazu gehört auch, dass man die Kinder gelegentlich in Ruhe lässt und ihren eigenen Willen toleriert – dazu beiträgt, dass sie neugierig auf andere Menschen sind.“

Zu Beginn versuchte Jonnas Mutter es noch. Organi­sierte Spieldates mit anderen Kindern. Aber irgend­wann musste sie feststellen: Mit keinem anderen Kind war die Kleine so auf einer Wellenlänge wie Paula. Und: Je älter die beiden wurden, desto enger wurde die Freundschaft. „Kinderfreundschaften sind bei dreijähri­gen Kindern oft sehr kurz, meist sind es anfänglich spontane, kurzfristige Spielfreundschaften, die aber häufig in dauerhaftere Sympathiebeziehungen über­gehen können. Dann vertraut man einander, teilt sich auch Geheimnisse mit, die Freundschaften bekommen dann gerade bei älteren Kindern eine stärkere Stabi­lität“, so Krüger.

Kinderfreundschaften kann man nicht erzwingen.

Und tatsächlich war das Band zwischen den Kindern mittlerweile so eng, dass sie mit zweieinhalb Jahren beschlossen, beieinander zu übernachten. Auch das klappte erstaunlich gut, ohne Heimweh. Die Familien verstanden sich, und die Kinder vertrauten den Eltern der jeweils anderen. Doch dann der Schock nach knapp zwei Jahren Freundschaft: Paula und ihre Eltern ziehen weg, die Eltern haben ein Haus auf dem Land gekauft. Jonna war untröstlich. Aber konnte das sein? Konnte diese Freundschaft unter Kleinkindern schon so groß sein? „Ja“, bestätigt Psychotherapeut Krüger, „bereits Kinder im Kindergartenalter leiden, wenn sie Freunde nicht mehr sehen können – weil man wegzieht, weil der Kindergarten aufhört.“ Es ist gut, wenn die Eltern dann gegebenenfalls Treffen ermöglichen. Aller­dings ist es normal, dass Kinder in diesem Alter Freund­schaften schon bei kleinen Konflikten beenden und auch Freunde schneller vergessen, wenn sie nicht mehr erreichbar sind.

Bereits kleine Kinder leiden, wenn sie Freunde nicht mehr sehen können.

Dr. Wolfgang Krüger
Psychotherapeut und Buchautor

Bei Jonna und Paula ist der ungewöhnliche Fall ein­getreten: Die Eltern bemühten sich um regelmäßige Treffen und Übernachtungsverabredungen. Noch immer ist es, als gäbe es keine räumliche oder zeitliche Trennung zwischen ihnen. Hat diese Bindung zwischen den Mädchen vielleicht sogar die Chance, die eine große Freundschaft fürs Leben zu werden? Dafür ist es wahrscheinlich noch zu früh, und eine Prognose darüber gliche einem Blick in die Glaskugel. Allerdings bestätigt Krüger, dass es diese lebenslangen Freundschaften, die sich im Kindergartenalter begründen, sehr wohl gibt: „Oftmals pflegen Menschen ihre Kindergarten­ und vor allem Schulfreundschaften ein ganzes Leben lang. Indem man sich über viele Jahre hinweg jeden Tag trifft, ent­steht eine tiefe Beziehung, die oftmals später, wenn man sich ein­ bis zweimal im Jahr sieht, sehr schnell aufgefrischt werden kann.“

Die eher stille Jonna musste sich dennoch umorientieren im Kindergarten. Und es zeigte sich: Das Freunde­ Ding, das ging auch mit anderen. Sie fand neue Freundinnen. Die Sorge von Eltern, das Kind würde womöglich ohne Freunde bleiben, hält Therapeut Krüger für unbegrün­det: „Wenn sich Kinder in der Beziehung zu Eltern gut gehalten fühlen, sind sie fast immer ein wenig neugierig und gehen unbekümmert auf andere mit der Frage zu: Willst Du mein Freund sein? Auch introvertierte Kinder finden erfahrungsgemäß Freundschaften, sie brauchen nur mehr Zeit, um auf andere zuzugehen.“

Warum Freunde überhaupt so wichtig sind.

Doch warum ist das überhaupt so wichtig, dass Kinder Freunde haben? Die sogenannten Peers, also Gleich­altrige, geben Kindern das, was kein Erwachsener – weder Eltern noch Erzieher – den Kindern geben kann: eine Verständigung und auch Konfliktlösung auf Augen­höhe. Kinder erleben die Welt anders als Erwachsene. Um diese Erlebnisse zu verarbeiten, benötigen sie Gleichaltrige, die ihnen signalisieren, dass das alles so richtig ist und sie wertgeschätzt werden. Kinderfreund­schaften bieten laut Margarete Blank­Mathieu den Rahmen für die Entwicklung sozialer und kognitiver Fähigkeiten. Die Kinder müssen mit Gleichaltrigen Kompromisse finden, Probleme lösen und lernen, auch bei Enttäuschungen mit ihren Gefühlen umzugehen. Sie eignen sich die Fähigkeit an, sich in ihr Gegenüber hineinzuversetzen. Durch den Vergleich mit Gleich­altrigen entwickelt sich zudem das Selbstbild und ein Selbstwertgefühl.

Wenn Jonna und Paula zusammen auf dem Spielplatz waren, haben sie andere Kinder oft nicht mitspielen lassen, fingen an zu tuscheln und zu kichern. Auch völlig normal laut Entwicklungsexperten: Durch das Schaffen von Geheimnissen verbünden sich Kinder gegenüber anderen und vor allem gegenüber Erwach­senen und schaffen so Vertrauen untereinander. Diese Heimlichkeiten sollte man weder ergründen noch aus den Kindern herausquetschen wollen. Gerade bei klei­nen Kindern sind sie meist belanglos. Und das wichtigste Merkmal für eine gute Freundschaft, bei Kindern wie Erwachsenen? Sich beim anderen wohlfühlen und nicht mehr umschubsen.

Freundschaft: definiert als eine auf Gegenseitigkeit angelegte positive Beziehung zwischen meist zwei Menschen, gekennzeichnet durch den Faktor der Reziprozität (Wechselseitigkeit).