Umwelt und Technik
Wie viel Handy darf mein Kind?
Digitale Technik verändert unser Leben. Auch die Allerjüngsten sind fasziniert von diesem blinkenden Ding, das Mama und Papa ständig benutzen. Soll man ihnen das verweigern?
Smart am Phone.
Text: Christian Heinrich | Foto: I Like Birds
Die digitale Technik ist längst allgegenwärtig – sie kann Kindern tatsächlich schaden, sie aber auch voranbringen in der Entwicklung. Was Sie beachten sollten, um Ihre Kinder altersgerecht und richtig dosiert an die digitale Technik heranzuführen.
Mal haben, sagt die dreijährige Tochter und deutet auf das Smartphone. Und jetzt? Sollte man es ihr geben? Und wenn ja, wie lange? Welche App sollte sie dort am Anfang zu sehen bekommen? Oder sollte man das Smartphone lieber ganz von der Kleinen fernhalten? Die Kinder werden mit dem zeit- und aufmerksamkeitsraubenden Ding noch früh genug vertraut! Aber wenn die gleichaltrige Freundin auch schon darf und es sogar entsperren kann – gerät das eigene Kind dann nicht in Sachen digitale Kompetenz ins Hintertreffen? Vor allem als Eltern haben Sie alle Macht darüber, welchen und wie viel Zugang zu technischen Geräten Ihre Kinder bekommen. Und damit haben Sie auch alle Verantwortung. Doch die lässt sich recht gut tragen, es gibt nur ein paar Dinge zu beachten.

Touchscreen-Start: Wann ist er sinnvoll?
Die Frage ist heute längst nicht mehr, ob das eigene Kind einen Touchscreen benutzen sollte, sondern wann. Der US-amerikanische Verband der Kinderärzte legt sich da noch klar fest: Für Kinder unter achtzehn Monaten hält er Bildschirmmedien für ungeeignet; und bis zum sechsten Lebensjahr sollten Kinder bei der Mediennutzung ständig begleitet werden. Hierzulande werden starre Altersgrenzen immer seltener empfohlen. Auch Christian Stamov Roßnagel, Lernforscher an der Jacobs University Bremen, hält nichts von festgelegten Grenzen: „Das Blaulicht der Bildschirme hemmt die Ausschüttung des Schlafhormons Melatonin, deshalb sollte man Smartphones in der Stunde vor dem Schlafengehen idealerweise nicht mehr benutzen. Abgesehen davon sind die digitalen Medien, solange sie nicht übertrieben viel verwendet werden, erst einmal nicht direkt schädlich, auch nicht bei jüngeren Kindern, dafür gibt es nach wissenschaftlich strengen Kriterien keine überzeugenden Anhaltspunkte.“
Auf die Dosis kommt es an.
Wenn sie im Übermaß eingesetzt würden, seien digitale Medien vor allem für jüngere Kinder natürlich schädlich, sagt Stamov Roßnagel. Das sei allerdings nicht verwunderlich, denn eine Überdosis – egal wovon – sei fast immer problematisch: „Wenn man sein Kind jeden Tag sechs Stunden in die Turnhalle schickt, dann überlastet das die Gelenke. Und wenn man sein Kind täglich sechs Stunden draußen im Park mit den Freunden nur Räuber und Gendarm spielen lässt, dann fehlt irgendwann der intellektuelle Input.“ Entsprechend sei es auch sinnvoll, die digitale Nutzungszeit zu begrenzen. „Kinder unter fünf Jahren sollten höchstens zwanzig Minuten am Stück an digitalen Medien sitzen, viel länger können sie sich noch nicht konzentrieren, außerdem brauchen sie Abwechslung und immer wieder Bewegung“, sagt Stamov Roßnagel. „Schau hin!“, die Medienratgeber-Initiative des Bundesfamilienministeriums, visiert eine ähnliche Dauer an: Sie empfiehlt, dass Kinder bis fünf Jahre täglich maximal für eine halbe Stunde Bildschirmmedien nutzen.
Ab einem Alter von drei Jahren hat es auch Sinn, Regeln einzuführen, um die Mediennutzung zu begrenzen. Erklären Sie Ihrem Kleinen schon vorher, wie lange er jetzt an ein Tablet herandarf und wann er es wieder abgeben muss. Dabei hilft zum Beispiel eine Eieruhr, die gut sichtbar aufgestellt ist – wenn sie abgelaufen ist, muss Ihr Kind das Tablet wieder abgeben. Diese Regeln, die auch strikt eingehalten werden sollten, festigen in den Kindern eine weitere, universelle Erkenntnis: dass es verlässliche Regeln gibt auf der Welt, an denen man sich orientieren kann.
Eltern sind in ihrer Nutzung selbst das Vorbild für ihre Kinder.
Ein länglicher Klotz, der ab und zu auf einer Seite leuchtet, wenn man darauf drückt. Mehr ist ein Smartphone für kleine Kitakinder eigentlich nicht. Das ist für ein paar Minuten ganz interessant, dann würde aber jedes Kind normalerweise rasch das Interesse verlieren. Normalerweise. Dass dem nicht so ist, dass Smartphones und Tablets manchmal auf die Kleinen eine geradezu magnetische Anziehungskraft ausüben, liegt auch an Ihnen, den Eltern. Denn durch Ihre Smartphone-Nutzung sind Sie Vorbild und Rollenmodell, und weil die meisten von uns Erwachsenen nicht gerade selten auf das Smartphone gucken, lernen die Kinder, dass in dem kleinen Ding offenbar eine Menge Potenzial steckt. Das bedeutet nun nicht, dass Sie vor Ihrem Kind das Smartphone nicht in die Hand nehmen sollten. Aber es ist empfehlenswert, die eigene Mediennutzung einmal zu reflektieren: Wie oft schaue ich auf mein Smartphone? Warum? Und ist das wirklich nötig? Wie beeinflusst es meine Aufmerksamkeit für die unmittelbare Umgebung, wenn mein Smartphone ein Signal gibt, dass eine neue Nachricht eingetroffen ist? Lasse ich mich womöglich zu oft aus Situationen reißen, bloß weil mein Smartphone sich meldet? Danach fällt es Ihnen nicht nur leichter, Ihren Kindern Ratschläge und Regeln zu geben. Womöglich können Sie auch Ihre eigene Mediennutzung verbessern.
Wie man dem Sog von Tablets entkommt.
Ein Tablet ist vor allem deshalb reizvoll für Kinder, weil es auf sie ein Stück weit reagiert. „Kleine Kinder versuchen immer, durch ihre Handlungen etwas zu bewirken. Kompetenzlust nennt man das: Wenn ich eine Sache A mache, dann geschieht eine Sache B“, sagt Stamov Roßnagel. Ob sie dabei auf einem Smartphone oder Tablet herumdrücken und neue Farben und Bilder sehen oder ob sie mit einem Stöckchen Kieselsteine auf dem Boden verschieben, spielt dabei erst einmal keine Rolle. Entsprechend sollten Eltern, die damit kämpfen, dass es ihr Kind immer wieder zum Smartphone zieht, vor allem eins tun: analoge Alternativen schaffen. Das kann im Grunde alles sein – sei es das Angebot, auf den Spielplatz zu gehen, oder zusammen eine Geschichte erfinden. Klar, das kostet Zeit. Doch es lohnt sich. Wenn es um die digitale Nutzung geht, können Sie nicht nur eine regulierende Funktion einnehmen. Sie können auch Vorbild sein und die Kinder mit ins Boot holen: Führen Sie handyfreie Zeiten oder Zonen ein – und sorgen Sie in dieser Zeit für eine besondere Abwechslung, spielen Sie zum Beispiel ein Gesellschaftsspiel. Es schafft nicht nur ein Gemeinschaftsgefühl in der Familie, es macht auch noch Spaß.

Medienkompetenz sollten schon Vierjährige lernen.
Viele von Ihnen kennen sicher die folgende Situation: Man hat dringend etwas zu tun – zum Beispiel möchte man mit dem langjährigen Freund, der gerade zu Besuch ist, wenigstens zehn Minuten einmal in Ruhe plaudern – und schaltet dem Kind ausnahmsweise kurz eine Kindersendung im Fernsehen an. Oder man drückt dem Kind das Smartphone in die Hand und macht eine Spiel-App auf. Pädagogen zufolge sollte so etwas die Ausnahme bleiben: Bis ins Grundschulalter hinein brauchen Kinder gerade vor dem Bildschirm eine erwachsene Begleitung. Sie sollten die Möglichkeit haben, direkt über das zu reden, was sie sehen, und Fragen zu stellen. Interessieren Sie sich also dafür, was genau Ihre Kinder mit Medien machen, welche Seiten sie mögen und welche Spiele sie spielen. Und überlegen Sie jeweils: Welche Gedanken könnten meinem Kind dabei durch den Kopf gehen? „Vor allem Kindern unter fünf, sechs Jahren fällt es manchmal schwer, Realität von Ausgedachtem oder Inszeniertem zu unterscheiden“, sagt Stamov Roßnagel. Entsprechend müsse man begleitend erklären, was Fakt und Fiktion ist in der digitalen Welt. So schafft man schon recht früh eine Informationsbewertungskompetenz. Die erleichtert es den Kindern, aus der Masse der Informationen im digitalen Raum die wenigen wirklich brauchbaren herauszufiltern. Eine der Schlüsselfähigkeiten des 21. Jahrhunderts.
Digitales und Analoges zu verbinden kann sinnvoll sein.
Die digitalen Medien sollten nichts ersetzen, sondern als das genutzt werden, was sie sind: eine Ergänzung und Erleichterung im Alltag. Verwenden Sie deshalb die Technik dazu, das Kind zu neuen analogen Experimenten und Tätigkeiten zu motivieren. Wie wäre es zum Beispiel, im Herbst gemeinsam Blätter zu sammeln und anschließend auf einer entsprechenden Internetseite zu schauen, welche Blätterform zu welchem Baum gehört? Wenn Ihr Racker das rausgefunden hat, kann er sich danach wieder in die Natur begeben – und schauen, wie die entsprechenden Bäume aussehen.
Das erste Handy ...
Die meisten Kinder in der sechsten Klasse besitzen heute ein Smartphone, das passt zur vorherrschenden Expertenmeinung, dass Kinder ab einem Alter von etwa elf Jahren ihr erstes Smartphone besitzen können. In der Realität breiten sich die Geräte allerdings bereits im Grundschulalter aus: Laut der vom Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest regelmäßig durchgeführten KIM-Studie (KIM: Kinder, Internet, Medien) besaßen bereits im Jahr 2016 38 Prozent der Acht- und Neunjährigen ein Smartphone. Sogar unter den Sechs- und Siebenjährigen hatten zwölf Prozent ein Smartphone, das ist fast allen Expertenempfehlungen zufolge aber eindeutig zu früh!