Fieber = Arzt? - Kita kinderzimmer Hamburg

Fieber = Arzt?

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Text: Christian Heinrich

Lust, ein paar Stunden in einem Zimmer voller Keime und plärrender Racker zu verbringen? Weil sich das Kind nicht gut fühlt? Oder sich nicht gut anfühlt? Also schnell zum Arzt und in die Sprechstunde. Oder lieber zu Hause bleiben? Das Gequengel aushalten, mal sehen, wie sich das Unwohlsein entwickelt? Oder ist es doch etwas Ernsteres…?

Die Antworten scheinen naheliegend: Sicherheit geht vor, die Gesundheit des Kindes ist schließlich das Wichtigste. Also lieber einmal zu viel zum Arzt. So handeln offenbar immer mehr Eltern in Deutschland. Obwohl es laut der sogenannten Bedarfsplanung theoretisch genug Kinderärzte in Deutschland gibt, sind diese deshalb einer zunehmenden Arbeitsbelastung ausgesetzt. Die Hemmschwelle vor dem Arztbesuch ist gesunken, und durch Horrordiagnosen aus dem Internet („Das muss doch Mumps sein!“) ist das Bedürfnis nach Beruhigung gestiegen. Zum Arzt zu gehen, so eine verbreitete Einstellung, das könnte wegen der Wartezeiten zwar unangenehm sein – aber es schadet ja nicht. Doch so einfach ist das nicht.

Lieber einmal zu viel als zu wenig zum Kinderarzt scheint vernünftig. Aber nicht selten werden aus einem Mal schnell viele Male. Sehr viele Male. Inzwischen sprechen die Kinderärzte in den Ambulanzen und den Praxen von einem „Ansturm der Ahnungslosen“. Mal schläft das Kind zu viel – oder zu wenig. Mal läuft die Nase, mal berichten die Eltern von „häufigem Räuspern, fast wie Husten“, mal ist leicht erhöhte Temperatur der Grund des Kommens. Eine weitere Quelle der Sorge ist die Verdauung: kein Stuhlgang, harter Stuhlgang, Durchfall, „der Urin hat einen seltsamen Gelbton“.

Oft überträgt sich der Druck ungewollt auf die Kinder.“

Tja. In den allermeisten Fällen können die Kinderärzte in den Notaufnahmen und Praxen die Eltern beruhigen: alles in Ordnung. Doch zunächst müssen sie jeder Sorge, jedem Hinweis nachgehen. Das ist die Herausforderung der Kinderärzte: in der Masse an gesunden oder nur leicht kranken kleinen Patienten diejenigen zu identifizieren, die tatsächlich medizinische Hilfe benötigen. Dr. Karella Easwaran arbeitet seit mehr als zwanzig Jahren in einer eigenen Praxis bei Köln als Kinderärztin. Eine ihrer derzeitigen Patientinnen ist ein fünfjähriges Mädchen, das sie seit der ersten Untersuchung nach der Geburt inzwischen mehr als siebzigmal gesehen hat. Jedes Mal hat sie das Kind sorgfältig untersucht, und einmal hat sie tatsächlich ein Antibiotikum verordnen müssen. Bei allen übrigen Besuchen war ihre Hauptaufgabe die Beruhigung der besorgten Mutter. „Die Eltern sind heute oft völlig verunsichert“, sagt Easwaran, die das Thema auch in ihrem Buch „Das Geheimnis gesunder Kinder“ behandelt.

Kein Wunder. Auf den Eltern laste ein enormer gesellschaftlicher Druck, ihr Kind in jeglicher Hinsicht für eine ideale Entfaltung zu wappnen: in Sachen Bildung, Sport, Musizieren – und eben auch in Bezug auf die Gesundheit.

„Ohne dass die Eltern es wollen, überträgt sich ihr Druck oft auf die Kinder“, erklärt Easwaran. Wenn etwa die Eltern bei jeder Erkältung zum Arzt gingen, dann manifestiere sich die Unsicherheit und das Gefühl einer Schwäche in den Kindern. Im Extremfall könnten psychische Probleme wie Ess- oder Angststörungen die Folge sein.

Das bedeute aber nicht, dass die Eltern nur in Notfällen zum Kinderarzt gehen sollten, sagt Easwaran. „Ich freue mich jedes Mal, wenn ich ein Kind untersuche und nichts Ernstes finde und ich die besorgten Eltern beruhigen kann. Das ist besser, als kämen die Eltern mit einem schwer kranken Kind, das eigentlich schon vor Tagen hätte vorgestellt werden müssen.“ Aber eine gewisse Gelassenheit gerade bei harmlosen, oft erlebten Symptomen wie Fieber, Erbrechen und Husten würde eben nicht nur manchen Eltern die Strapazen eines Arztbesuchs ersparen, sondern den Kindern ebenso. Auch müsse nicht jedes Kind zum Arzt, das von den Erzieherinnen nach Hause geschickt wurde. In den allermeisten Fällen liegen Durchfall oder Fieber vor, und das gehöre nun einmal nicht in den Kindergarten.

„Nach ein oder zwei Tagen Bettruhe wird es meist von allein besser.“ Wenn man unangenehme Situationen wie Erbrechen beim eigenen Kind das erste Mal miterlebt, kann das emotional enorm strapaziös sein. „Dann ist es gut, wenn Sie in die Praxis kommen.“ Nur sollten Sie versuchen, rät Easwaran, im Laufe der Zeit ein Gefühl dafür zu bekommen, wann der Besuch etwas warten kann. Auch Fieber sei übrigens kein Grund, direkt zum Arzt zu gehen. Es bedeute erst einmal, dass der Körper sein Abwehrsystem zusätzlich aktiviert. Ein Tag Fieber von 39,5 Grad Celsius, das sich mit einem Zäpfchen senken lässt, sei dabei durchaus normal. Sie möchten ganz sicher sein? Familienbildungsstätten und Kliniken bieten Vorträge und Beratungen an.

Unser Autor ist Journalist und selbst auch promovierter Mediziner – trotzdem ist er in den ersten drei Lebensjahren seiner Zwillinge insgesamt 27-mal zum Kinderarzt gegangen. Doch immerhin flacht die Kurve stark ab: Dieses Jahr war er erst ein einziges Mal in der Praxis.