Warum beißen Kinder? - Kita kinderzimmer Hamburg

Warum beißen Kinder?

  • Circa 7 Minuten Lesezeit

Hilfe, mein Kind beißt!

Text: Janina Jetten | Foto: Bernd Westphal

Wenn das eigene Kind plötzlich andere Kinder beißt, sind die Eltern im ersten Moment völlig bestürzt. Ihnen ist die Situation furchtbar peinlich. Doch Beißen ist bei Kleinkindern keine Seltenheit. Woran es liegen kann, und was wirklich dagegen hilft.

„Frieda hat Emil gebissen? Nein, kann nicht sein. So ist sie doch gar nicht.“ Die Erzieherin macht ein tröstendes Gesicht und sagt: „Das passiert in dem Alter und ist eine ganz normale Phase. Mach Dir nicht zu viele Gedanken.“ Zu spät. Das Gedankenkarussell einer jeden Mutter oder eines jeden Vaters fängt an, sich in Höchstgeschwindigkeit zu drehen, wenn man beim Abholen in der Kita erfährt, dass das eigene Kind einem anderen Schmerzen zugefügt hat. Sofort ploppen Fragen auf: „Was ist mit meinem Kind los? Hat meine Erziehung versagt?

Was denken jetzt die Eltern des gebissenen Kindes?“ Beißen ist ein hoch emotionales Thema. Weil es auf viele Eltern, die noch nie etwas damit zu tun hatten, primitiv und unerzogen wirkt. „Nur ein braves Kind ist auch ein gutes Kind“, fasst die Erziehungspädagogin Vera Rosenauer vom Blog „Abenteuer Erziehung“ die oft unbewusste Vorstellung vieler zusammen. „Das hat mit veralteten Erziehungswerten zu tun“, so die Elterncoachin. „Ein aggressives Kind – das darf nicht sein. Wut ist in unserer Gesellschaft nicht gern gesehen.“ Beißen aber ist ein direkter Ausdruck von Wut. Und da der Biss oftmals Spuren hinterlässt, finden viele ihn schlimmer, als wenn gehauen, gezwickt oder an den Haaren gezogen worden wäre. „Dabei sind das alles die gleichen Mittel für ein Kind, um sich auszudrücken, wo es sich verbal noch nicht ausdrücken kann. Es hat seine Strategie rein zufällig gewählt. Genauso wie das eine Kind, um sich zu beruhigen, am Daumen lutscht und das andere Kind eben ein Schnuffeltuch bevorzugt.“

Tatsächlich, und das ist der beste Weg, um seinen „Frieden“ mit dem Beißen (oder Schubsen und Hauen) zu machen, sollte man verstehen, warum ein Kleinkind zwischen achtzehn Monaten und drei Jahren überhaupt zu diesem Mittel greift. „Unsere Kleinen machen das nämlich nicht, um uns zu provozieren oder frech zu sein“, sagt Vera Rosenauer. „Dazu ist ihre Gehirnleistung in diesem Alter gar nicht der Lage. Alles, was sie tun, kommt aus einem Bedürfnis heraus. Weil sie enttäuscht sind, sauer oder einfach nur hilflos.“

Im Fall von Frieda spielte die Kleine gerade allein in einer Ecke, als Emil vorbeikam. Er griff nach ihrem Spielzeug. Sie sagte „gopp“ – „stopp!“, aber Emil hörte nicht auf. Und statt sagen zu können: „Hey, Emil, lass mich mal bitte in Ruhe“, konnte sich Frieda mit ihren knapp zwei Jahren eben nur damit helfen, kräftig zuzubeißen. „Sie hat das Beste getan, was ihr in dem Moment zur Verfügung stand“, kommentiert Vera Rosenauer. „Das ist natürlich keine sozial angemessene Reaktion. Aber das Schöne ist: Wir können unseren Kindern helfen zu lernen, wie sie mit ihrer Wut umgehen dürfen.“

Zähne zeigen ist okay zum Beispiel wenn man lauthals lachen muss.

kizi-Tipp:
Schauen Sie genau hin! In welchen Situationen beißt das Kind? Wiederholen sich die Situationen, zum Beispiel in Verbindung mit Frust oder Überforderung? Für manche Kinder sind Babyturnen und volle Spielplätze nach einem Kitatag zu anstrengend. Gönnen Sie Ihrem Kind Ruhe.

Hat Ihr Kind in der Kita gebissen, und die Erzieherin informiert Sie? Nehmen Sie dies als reine Information auf, nicht als Appell, etwas zu „unternehmen“! Was im Kindergarten passiert, können Sie nicht aufarbeiten, Ihr Kind kann sich später nicht erinnern.

Wenn die Mutter des gebissenen Kindes Sie zur Rede stellt, sagen Sie zum Beispiel: „Ich habe mich auch erschrocken, als ich es gehört habe!“ Machen Sie aber nicht mehr daraus – für die Kinder sind das schmerzhafte, aber natürliche Situationen und Konflikte.

Wenn Ihr Kind vor Ihren Augen beißt, rät Vera Rosenauer zu folgenden Schritten: „1. Sagen Sie ruhig, aber klar: ‚Stopp!‘ Wehtun ist nicht okay. 2.Ist ein anderes Kind involviert: Trösten Sie dieses. Damit wird auch Ihrem Kind gezeigt, dass es durch sein Verhalten nicht mit Aufmerksamkeit ‚belohnt‘ wird. 3. Zurück zu Ihrem Kind: Äußern Sie Verständnis. Nicht für die Gewalt, aber für das Gefühl, das das Verhalten ausgelöst hat – ‚Ich sehe, Du bist wütend…‘ Das reine Benennen des Gefühls ist hilfreich, weil Ihr Kind sich verstanden und als Person angenommen fühlt. 4. Bieten Sie Alternativen an: aufstampfen, Zeitung zerreißen, in ein Kissen boxen oder ins T-Shirt beißen. Durch diese Wege zeigen Sie Ihrem Kind, dass es seine Wut ruhig ausdrücken darf. Aber eben sozial verträglich.“

Hilfe, mein Kind wird gebissen.

Wenn das eigene Kind gebissen wird, dann ist man erst einmal sauer: Wie konnte das nur passieren. Wer war das? Ein Drama daraus zu machen, ist aber der falsche Weg. Warum man Verständnis haben sollte – und wie man das eigene Kind schützt.

„War ich im ersten Moment sauer, als ich Emil aus der Kita abholte. Der Gebissabdruck mitten auf der Wange – das geht gar nicht!“ So oder so ähnlich klingt dann die andere Elternseite, deren Kind gebissen wurde. Kein Wunder, wer will schon, dass seinem Kind wehgetan wird? Im ersten Moment rauschen da Gedanken durch den Kopf wie: „Hat das andere Kind ordentlich Ärger bekommen und sich entschuldigt? Wenn das noch mal passiert, gehe ich aber zur Kitaleitung…“

Das Begreifen, warum ein Kind beißt, ist der wichtigste Weg, diesem zu verzeihen. „Kinder, die beißen, sind nicht böse oder falsch erzogen“, betont die Erziehungspädagogin Vera Rosenauer. Kindliches Schlagen, Kratzen und Beißen haben mit Gewalt rein gar nichts zu tun: „Es ist lediglich der einzige Weg, der dem Kind zur Verfügung steht, weil es sich mit Worten noch nicht auszudrücken weiß.“ Und sie fügt hinzu: „Selbstverständlich muss das Kind, das gebissen hat, lernen, dass es sozial nicht angemessen reagiert hat. Es zu einer ‚erwachsenen’ Entschuldigung zu zwingen ist allerdings nicht zielführend, denn meist ist es selbst genauso erschrocken übers Zubeißen wie das Kind, das gebissen wurde. Trost, Verständnis und eventuell ein kindliches Ei-ei-Streicheln beim Gebissenen sind zielführender.“

Natürlich ist es hart zu ertragen, wenn das eigene Kind plötzlich lernen muss, dass nicht immer alle Kinder lieb sind, sondern auch Angst machen können oder wehtun. Denn möchte nicht jede Mutter, jeder Vater dasselbe: sehen, wie der Nachwuchs mit seinem Grundvertrauen um sich herum lebt, ihn dabei beobachten, wie er mutig, furchtlos und vertrauensvoll diese Welt erkundet?

Ein schöner Gedanke, gewiss, aber, so fasst Vera Rosenauer zusammen: „Ihr Kind lernt durch diese Situationen. Auch wenn es nicht so scheint, die Kinder kommunizieren quasi nonverbal miteinander. Sie haben einen schmerzhaften Konflikt, den sie auf ihre Weise versuchen zu lösen. Beide Seiten wachsen daran.“

Zu Hause können Eltern mit ihren Kindern über den Vorfall reden und ihnen erklären, dass das Beißen nichts ist, vor dem sie Angst haben müssen. Dass es keine tolle Sache ist, aber Kinder, die beißen, ihnen nicht persönlich schaden wollen. „Gleichzeitig können Sie dem Kind klarmachen, wie es reagieren kann. Üben Sie mit ihm, klar und deutlich Stopp oder Nein zu sagen“, empfiehlt Vera Rosenauer. Vielleicht auch den Arm auszustrecken, um das andere Kind auf Distanz zu halten, oder die Nähe einer Erzieherin aufzusuchen. Lesen Sie die andere Seite, wenn es plötzlich Ihr Kind sein sollte, das schubst, haut – oder beißt.

kizi-Tipp:
Stärken Sie Ihr Vertrauen in die Kita: Fragen Sie ruhig genau nach, wie die Erzieherinnen reagieren. Wird angemessen getröstet, darf das Kind danach erst einmal geschützt spielen? Kleine Kinder, die gebissen worden sind, brauchen Fürsorge, Mitgefühl und natürlich angemessene Konfliktassistenz. Wichtig ist, dass wir den Eltern nicht sagen, wer es war. Es bringt nichts und führt zur Stigmatisierung des Kindes – die Erzieherin/der Erzieher muss die Situation in dem Moment lösen.

Auf dem Spielplatz, beim Date mit der Mama-Freundin – was tun, wenn Ihr Kind direkt vor Ihren Augen gebissen wurde? Erst einmal: Trösten Sie Ihr Kind! Schauen Sie dann, was die Mutter oder der Vater des anderen Kindes tut. Wenn für Ihr Ermessen zu lasch reagiert wird: Ärgern Sie sich nicht zu sehr, denn das bringt leider wenig. „Bei fremden Eltern kann man schwer intervenieren und sagen: ,Nun schimpft mal mit Eurem Kind!’ Da bleibt nur, dass Sie Ihrem Kind noch einmal genau erklären, dass Beißen nicht okay ist“, sagt Vera Rosenauer. „Unter Freunden ist es ratsam, schon vorher über solche Situationen zu reden. Sich quasi in der Erziehung abzugleichen. Dann kann man bei Differenzen betonen, wie wichtig man es aber findet, wenn die Kinder klare Worte hören.“

Kein schönes Thema, aber wichtig: die Wundversorgung! Haben die kleinen Zähnchen sich tatsächlich durch die Haut gebissen, sollten Sie die Wunde richtig versorgen. Eine Entzündung der Wunde aufgrund von Verunreinigungen ist ohne entsprechende Behandlung grundsätzlich möglich. Säubern Sie die Bissstelle mit Wasser, tragen Sie ein Desinfektionsmittel auf und decken Sie die Wunde mit einer Kompresse ab. Nur bei ganz tiefen Bisswunden ist ein Gang zum Kinderarzt nötig. Bei oberflächlicheren Wunden können Sie das Aua mit Kühlpads selbst versorgen.