Wie wächst man mit 3 Sprachen auf? - Kita kinderzimmer Hamburg

Wie wächst man mit 3 Sprachen auf?

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Text: Chahé Georgelin | Foto: Patrick Desbrosses

Mein Name ist Chahé Georgelin, und ich bin neunzehn Jahre jung. Ich wurde in Paris geboren und habe dort 2017 mein Abitur gemacht. Seit einem Jahr bin ich nun in Potsdam und studiere in einem bilingualen Bachelor-Studiengang deutsch-französisches Recht. Im Oktober 2018 fängt mein drittes Fachsemester an.

Die Mehrsprachigkeit im Studium liegt mir. Als Kind bin ich sogar mit drei Sprachen aufgewachsen. Mein Vater ist zwar Franzose, hat aber mit mir ständig Deutsch geredet. Meine Mutter ist Armenierin, deren Eltern einst als Gastarbeiter nach Heidelberg eingewandert sind. Deshalb spricht auch meine Mutter Deutsch – und natürlich Armenisch. Die Sprachen zu Hause waren also Deutsch und Armenisch, obwohl ich als Kind in Paris lebte. Das hatten meine Eltern bewusst so gemacht, denn sie wussten ja, ich würde im Alltag außerhalb von zu Hause eh irgendwann anfangen, Französisch zu reden.

Meine Eltern haben mich in einem deutschsprachigen Kindergarten angemeldet, wo ich meinen besten Kumpel Abel kennengelernt habe. Er ist Niederländer, sein Vater meinte aber, Deutsch würde ihm in seinem beruflichen Leben viel mehr weiterhelfen. Abel und ich redeten trotzdem Französisch miteinander – obwohl Französisch in diesem deutschsprachigen Kindergarten verboten war und sogar unter Strafe stand. Anschließend kam ich in die École Massillon, an der Deutsch als Muttersprache gelehrt wird. Das Deutsche war also in den Bildungseinrichtungen allgegenwärtig. Französisch war die Sprache des Landes, in dem ich aufwuchs. Und mit meiner Mutter sprach ich armenisch. Alle drei Sprachen fühlten sich für mich wie meine Muttersprachen an. Sie waren in meinem Kopf gleichwertig.

Nie habe ich darüber nachgedacht, was am einfachsten ist oder was mir am meisten gefällt. Als kleiner Junge fand ich es einfach amüsant, mich an die Personen anzupassen, mit denen ich gerade kommunizierte, ich stellte mich automatisch auf deren Sprache ein. Im Alltag bedeutete das: Beim Abendessen habe ich links mit meiner Mutter Armenisch geredet, während ich rechts mit meinem Vater auf Deutsch kommunizierte. Meine Eltern haben damals miteinander auf Deutsch gesprochen, aber bei intensiveren Gesprächen oder bei Streit sind sie jeweils in ihre eigene Sprache gewechselt, mein Vater sprach dann französisch. Aber das war die Ausnahme, sonst war es mir nicht erlaubt, zu Hause Französisch zu reden.

Als meine Schwester zur Welt kam, ich war da sechs Jahre alt, hat mich meine Mutter gebeten, mit ihr Armenisch
zu sprechen. Das passte mir ganz gut, denn so hatten meine Schwester und ich in Frankreich eine Art geheime Sprache, die kaum ein anderer verstand. Dass ihre Kinder Armenisch sprechen, wollte unsere Mutter hauptsächlich deshalb, damit wir mit unseren Großeltern sprechen konnten. Und natürlich, weil die Sprache ein wesentlicher Teil der armenischen Kultur ist.

Es ist sehr wichtig für uns, Armenisch zu sprechen. Ich hoffe, dass ich es auch meinen eigenen Kindern weitergeben kann. Dies ist der einzige sichere Weg, damit eine Kultur nicht stirbt. Als Leute, die einer Diaspora von einer kleinen Bevölkerung wie den Armeniern angehören, ist es unsere Pflicht und Verantwortung, die Sprache zu beherrschen.

Mit etwas Abstand betrachtet finde ich heute, dass dieses Aufwachsen mit drei Sprachen paradoxerweise einfacher ist für ein Kind, als die Sprachen später zu lernen, das ist dann eher eine Anstrengung. Auch stellt sich, wenn Leute mit zwei Sprachen zugleich großgezogen werden, keine unbewusste Rivalität zwischen den Sprachen ein.

Je mehr Sprachen man lernt, desto menschlicher und toleranter wird man.

Bei uns war es wie ein Spiel, als neugieriges Kind wollte ich auch immer die Übersetzungen jedes Wortes kennenlernen, damit ich die drei Sprachen gleichwertig sprechen konnte. Das ist hundertprozentig natürlich nie möglich. Ich würde sagen, dass ich in der folgenden Reihenfolge die Sprachen beherrsche: am besten Französisch, dann Deutsch (seit Anfang des Jurastudiums und der Begegnung mit der juristischen Sprache), schließlich Armenisch. In der Schule habe ich übrigens noch Englisch gelernt, und Spanisch bringt mir zurzeit meine Freundin bei. Sprache an sich betrachte ich persönlich als Prisma, das die Sicht einer Kultur auf deren Gesellschaft widerspiegelt, man kann viel über die Menschen lernen und verstehen. Folglich bin ich der Meinung: Je mehr Sprachen man lernt, desto menschlicher und toleranter wird man.

Das subjektive Denken wird durch das Aussprechen von Wörtern materialisiert. Manchmal hat man das Gefühl, in der einen Sprache erschienen Kausalitäten oder Fakten anders als in einer anderen Sprache, als hätte man mehrere Ichs. Was natürlich nur gefühlt ist, im Wesentlichen hat man ja eine feste Meinung über Sachen – ist sie jedoch zu unbeweglich, kann das gefährlich sein. Wenn man mehr Sprachen zur Verfügung hat, dann kann man auch eindeutiger sein. So kommen manchmal Wörter einer Sprache schneller ins Gehirn, weil sie präziser das verdeutlichen, was jemand fühlt. Durcheinander kommt man aber nicht so schnell, weil man mit dieser mehrsprachigen Wortgymnastik auch die Flexibilität hat, sich in verschiedenen Wegen in derselben Sprache zu äußern.

Neologismen finde ich sehr wichtig. Neue Wörter werden erfunden, weil Jugendliche oder eine soziale Klasse sich ihren eigenen Code aufbauen möchten, um sich gemeinschaftlich zu unterhalten. Dies ist keine Gefahr, solange Tradition, Geschichte und Rechtschreibung der Sprache respektiert werden. Im Gegenteil, die Sprache wird reicher! Lernt Sprachen, es gibt so viele entzückende Kulturen zu entdecken. Und diese Vielfalt der Sprachen ist nötig, um unsere Menschlichkeit zu bewahren. Man muss immer nach vorn schauen, aber wissen, woher man kommt.