Wir finden: Zahlen sind spannend. Denn hinter (fast) jeder verbirgt sich eine Geschichte. Zeit, sie zu erzählen.
Ist Mathe nur ein großes Puzzle?
Das sind mächtig viele?
Interview: Christian Heinrich | Fotos: I Like Birds
Oder sind es wenige? Damit Ihr Kind mit der Idee von Mengen etwas anfangen kann, muss das Kind Strukturen erkennen können. Dr. Miriam Lüken, Professorin für Pädagogik in der Mathematik, erklärt, warum unsere Kinder ständig Muster suchen, was das mit dem Sprechenlernen zu tun hat und wie wir sie dabei unterstützen können.
Regelmäßigkeiten, Muster und Reihenfolgen – was haben die eigentlich mit Mathematik zu tun? Und sind sie für junge Kinder überhaupt von Bedeutung?
Mathematik wird häufig als die Wissenschaft von den Mustern bezeichnet. Mathematik zu lernen ist damit eigentlich nichts anderes, als Muster zu entdecken, sich mit Regelmäßigkeiten zu beschäftigen und Reihenfolgen herzustellen. Das tun bereits sehr junge Kinder, wenn sie zum Beispiel qualitative Reihenfolgen bilden, indem sie Stifte von Dick nach Dünn ordnen oder Fensterbilder von Hell nach Dunkel aufkleben. Dinge zu ordnen und in eine Reihenfolge zu bringen ist etwas, was viele Kinder von sich aus tun. Bei drei Objekten geht das noch recht einfach, indem immer zwei verglichen und angeordnet werden, zum Beispiel groß – mittel – klein. Wenn aber viele Objekte in eine auf- oder absteigende Reihenfolge gebracht werden sollen, kann das ganz schön schwierig sein und sogar noch Erstklässler überfordern.
Gibt es auch quantitative Reihenfolgen, und was genau kann man sich darunter vorstellen?
Ja, quantitative Reihenfolgen beziehen sich auf Zahlen. Der Unterschied zwischen den Zahlen in der Reihenfolge ist immer gleich. Das einfachste Beispiel ist die Zählfolge: 1, 2, 3, 4 und so weiter. Die Zahlen sind hier so in eine Reihenfolge gebracht, dass die nachfolgende Zahl immer genau um eins größer ist als die vorherige. Ein anderes Beispiel wäre das Zählen in Zweierschritten, wenn zum Beispiel Kinder vor einem Ausflug gezählt werden: 2, 4, 6, 8 und so weiter. Hier ist die Regel: immer zwei mehr. Kinder ab fünf Jahren bilden diese quantitativen Reihenfolgen auch mit Objekten aus ihrer Umwelt. Meine Tochter legte ein solches Muster aus Gummibärchen: ein grünes Gummibärchen, darunter zwei rote, dann drei gelbe und schließlich vier weiße Gummibärchen. Auf die Nachfrage, ob die Gummibärchen genauso in der Tüte waren, antwortete sie: Nein, es waren fünf weiße Gummibärchen. Ich habe eins gegessen. Jetzt passt es. Sie war sich der Regelmäßigkeit in ihrem Muster also anscheinend bewusst. Der Musterbegriff ist aber noch viel breiter und bezieht auch regelmäßige, wiederkehrende Abfolgen wie tägliche Rituale oder die Jahreszeiten mit ein.
Wie das? Was haben Jahreszeiten mit Mathematik zu tun?
Es gibt vier Jahreszeiten: Frühling, Sommer, Herbst und Winter, die sich in genau dieser Abfolge immer wiederholen. Diese Struktur liegt sich wiederholenden Mustern zugrunde. Es gibt eine festgelegte Abfolge von Elementen, sozusagen eine Grundfigur, die sich unverändert wiederholt. Zu den ersten fundamentalen Erfahrungen mit diesen Mustern gehört beispielsweise die Abfolge von Schlafen und Wachsein. Es gibt sich wiederholende Muster aber nicht nur auf der zeitlichen, sondern auch auf der bildlichen Ebene. Das können zum Beispiel die Streifen eines Pullovers sein: rot, gelb, rot, gelb und so weiter. Mathematisch ausgedrückt würden wir „rot-gelb“ als Grundfigur bezeichnen, die durch geometrische Parallelverschiebungen immer wieder aneinandergereiht wird. Aber auch Spiegelbilder sind geometrische Muster, die Grundfigur wird einfach spiegelbildlich wiederholt. Bei Ornamenten oder Windmühlen liegt eine Drehsymmetrie zugrunde. Ein Windmühlenflügel wäre die Grundfigur, durch eine Drehung wird er wiederholt. Fragen, die man Kindern stellen könnte, wären: Was ist immer gleich? oder: Welches Stück wiederholt sich?
Wie kann man sein Kind noch weiter darin fördern, ein Bewusstsein für Reihenfolgen und Muster zu entwickeln?
Muster werden von Kindern und übrigens auch von Erwachsenen als schön empfunden, und deshalb bilden die meisten Kinder von sich aus Muster und setzen sich mit vorgegebenen Mustern auseinander. Man könnte sagen, dass wir Menschen einen angeborenen Mustersinn besitzen und eigentlich immer nach Regelmäßigkeiten Ausschau halten. Was in jedem Alter wichtig ist: das Kind sprachlich zu begleiten. Wenn also eine Erzieherin oder ein Elternteil sieht, dass ein Kind die Kuscheltiere von Groß nach Klein nebeneinander aufstellt oder ein sich wiederholendes Muster aus roten und blauen Perlen auffädelt, dann sollte man nachfragen, sich erklären lassen, was sich das Kind dabei gedacht hat, und mit dem Kind über die Regelmäßigkeit sprechen.
Können Sie das mit dem Mustersinn noch genauer erklären?
Gerne. Daran kann ich dann auch eine weitere Art mathematischer Muster erklären, die sich auf Zahlen bezieht. Die Anzahl von drei Objekten, zum Beispiel drei Kastanien, kann ich auf zwei unterschiedliche Weisen bestimmen. Entweder zähle ich sie nacheinander ab, oder ich erfasse die Anzahl auf einen Blick, das heißt, ich sehe die Kastanien und weiß einfach so (ohne dass ich sie einzeln abzählen muss), dass es drei sind. Letzteres nennen wir Simultanerfassen. Das Simultanerfassen beruht auf einem angeborenen, automatischen Mustererkennungsprozess. Im Vorschulalter können Kinder drei und vier Objekte auf einen Blick erfassen. Wenn die Anzahl größer ist, dann ist es hilfreich, wenn die Dinge wie Würfelbilder angeordnet sind. Stellen Sie sich zwei Reihen mit je drei Kastanien vor. Darin könnte man das Würfelbild der Sechs erkennen und wieder ohne einzelnes Abzählen wissen, dass es sechs Kastanien sind. Auch hier hilft der Mustersinn weiter. Muster und Strukturen sind für die Kinder auch deshalb wichtig, weil sie helfen, den Alltag und das Erlernte zu ordnen und damit besser begreifbar zu machen.
Gibt es Spiele, die Kinder beim Erkennen von Mustern fördern?
Ja, alle Spiele, die mit einem „normalen“ Spielwürfel gespielt werden, sind hilfreich. Sobald ein Kind in der Lage ist, Spielregeln einzuhalten, kann man damit anfangen. Zuerst kann die gewürfelte Anzahl durch Abzählen bestimmt werden, nach und nach merkt sich das Kind die Muster auf dem Würfel. Aber auch Spiele wie „Halli Galli“ sind toll, bei denen eine Anzahl schnell auf einen Blick erfasst werden muss. Insgesamt ist es wichtig, Kinder nicht immer zum Zählen aufzufordern, sondern eher zu fragen: Wie viele sind es? Kannst Du es auf einen Blick sehen?
Dr. Miriam Lüken ist Professorin für Didaktik der Mathematik an der Universität Bielefeld. Sie erforscht, wie sich das Erkennen von Mustern und Strukturen bei Vorschulkindern entwickelt.