Gesunde ErnÀhrung
Wie lecker schmeckt gesund?
Im kinderzimmer hören wir beim Thema gesunde ErnĂ€hrung weniger auf unser BauchgefĂŒhl. DafĂŒr umso mehr auf den Rat einer renommierten ErnĂ€hrungswissenschaftlerin.
Kinder, Essen ist fertig!
Text: Dagmar von Cramm | Fotos: Conny Mirbach & Virginie Plauchut
Nichts ist selbstverstĂ€ndlicher und nichts komplizierter: Was unsere Kinder mögen oder vertragen, ist sehr unterschiedlich. Doch alle mĂŒssen essen. Das ist die groĂe Gemeinsamkeit. Und in fröhlicher Runde zu futtern verbindet und macht den Kern eines guten Zusammenlebens aus. Nicht nur in der Familie, sondern auch in der Kita.

Ăber das Essen in der Familie gibt es weltweit viele gute Studien. So fĂŒhren gemeinsame Mahlzeiten zu einem eher normalen Gewicht und einer gesĂŒnderen ErnĂ€hrung bei Kindern. Doch was tun, wenn tagsĂŒber die ganze Familie immer seltener zusammen isst? TatsĂ€chlich wirkt sich eine Mahlzeit in Gemeinschaft Ă€hnlich aus â egal ob in Kita oder Schule. Denn es ist ja das Gruppenerlebnis, das Kindern Appetit macht. Wiederkehrende Rituale, zuverlĂ€ssige Zeiten und Regeln geben ihnen Sicherheit und Geborgenheit.
Der Rahmen spielt dabei eine wichtige Rolle: Wenn jeder seinen Platz hat, sein Besteck, seinen Teller und Becher, wenn keiner den anderen stört, der Tisch schön gedeckt ist, dann macht das Essen auch den Kleinsten SpaĂ. Und es ist erstaunlich, dass in der Kita auch Kinder, die sonst vehement jedes kleinste grĂŒne Blatt im Essen ablehnen, mit Begeisterung Rahmspinat, Salat oder Pesto verputzen! Da hilft sicher eine kleine Portion Futterneid, Neugier und das Vorbild der anderen Kinder â gut so.
Die Sinne essen mit.
Ihr Kind lernt ja nicht nur das Gehen, Essen und Sprechen, sondern auch das Schmecken, Riechen, Schlucken, BeiĂen, FĂŒhlen. Ein Kind erobert seine Umwelt mit allen Sinnen und nimmt sie noch viel empfindsamer und unverstellter wahr als ein Erwachsener. Auf unserer Zunge befinden sich Papillen fĂŒr fĂŒnf unterschiedliche Geschmacksnoten: sĂŒĂ, sauer, salzig, bitter und umami (wĂŒrzig). Wie das Baby hat auch das Kleinkind eine Vorliebe fĂŒr âsĂŒĂâ, bereits das Fruchtwasser schmeckte sĂŒĂlich, ebenso die Muttermilch oder Pre-Milch. Doch ein Kind ist mit leichter, natĂŒrlicher SĂŒĂe zufrieden: Auch Brot oder Flocken pur schmecken sĂŒĂlich. Gleiches gilt fĂŒr âsalzigâ. Die Vorliebe fĂŒr âbitterâ entwickelt sich erst viel spĂ€ter â Kinder lehnen in der Regel Bitteres ab.
Entwicklungspsychologen halten das fĂŒr einen natĂŒrlichen Instinkt: Bitteres ist in der Natur oft giftig, wĂ€hrend SĂŒĂes Reife und leicht verdauliche Kohlenhydrate signalisiert. Geschmack wird zum gröĂten Teil durch die Nase wahrgenommen.âGerĂŒche gehen tiefer ins Herz als Töne und Bilderâ, meint der âDschungelbuchâ-Autor Rudyard Kipling. Aroma- und Duftstoffe sind deshalb nichts fĂŒr Kinder: Sie sollen ja den Eigengeruch und -geschmack der Lebensmittel erfahren, um sie kennenzulernen. Am Essen schnuppern, raten, was es gibt, und darĂŒber reden, wie es riecht, macht dabei so richtig Appetit. Wenn etwas zart auf der Zunge zerflieĂt oder knusprig zwischen den ZĂ€hnen knackt, wenn Brot zu weichem Brei wird oder eine Traube zu Saft zerspringt, dann erhöht das den Genuss.

Deshalb sind rohes KnabbergemĂŒse, aber auch cremiges PĂŒree bei den Kleinen oft beliebter als normal gegartes GemĂŒse. Die Augen essen gerade bei Kindern mit â auch schon bei den Kleinen. Sie sind regelrecht detailverliebt. So kann eine winzige Macke am Apfel zu wilder Ablehnung fĂŒhren und ein Mondgesicht auf dem Brot zu Begeisterung. Wenn es die Zeit erlaubt, können schon eine simple Gurkenschlange oder Möhrenspaghetti zum Lieblingsessen werden. Kinder nehmen ihr Essen ĂŒbrigens auch mit den Ohren wahr: Wenn das Brotpapier raschelt, die Karotten beim Kauen knacken oder der Halloumi im Mund quietscht, dann erhöht das den Genuss. All das fördert auch die Entwicklung ihrer Sinne und ihres Geschmacks.

Kinder sind kleine SpieĂer.
Studien ergaben, dass ein Kind ein Gericht bis zu fĂŒnfzehnmal probieren muss, bis es ihm schmeckt. Sonst wĂŒrden wahrscheinlich britische Kinder kein Porridge mögen oder japanische Kinder keine Miso. âMere-Exposure Effektâ heiĂt es in der Verhaltensforschung â auch der kleine Mensch mag, was er kennt. Auch das ist ein instinktiver Schutz in einer ursprĂŒnglich wilden Welt. Mit anderen Worten: Es ist wichtig, nicht gleich aufzugeben, wenn Kinder mĂ€kelig sind, sondern immer wieder einen Versuch zu starten, keine AffĂ€re daraus zu machen und keine Grundsatzfrage. Dann wird der Speisezettel mit der Zeit immer bunter, und das ist die beste Voraussetzung fĂŒr eine gesunde ErnĂ€hrung. SchlieĂlich ergĂ€nzen sich die unterschiedlichen Lebensmittel: Was dem einen fehlt, bietet das andere â auch Nachteile gleichen sich aus. Letzten Endes gibt es bei uns kaum NĂ€hrstoffe, an denen es Kindern fehlt. Viel kritischer ist das Zuviel. Dabei spielen GetrĂ€nke und Snacks oft eine negative Rolle.
Dann gibtâs grĂŒnes Licht.
Die ErnĂ€hrungspyramide zeigt auf einen Blick, was Kinder wovon tĂ€glich brauchen. Die Basis sind GetrĂ€nke wie Wasser oder ungesĂŒĂter Tee. Dann folgen drei Portionen GemĂŒse einschlieĂlich der HĂŒlsenfrĂŒchte und zweimal Obst. in der nĂ€chsten Etage finden sich vier Portionen âSĂ€ttigungsbeilagenâ: Brot, Nudeln, Reis, MĂŒsli, aber auch Kartoffeln in jeder Form. Erst darĂŒber, wo es enger wird, gibt es Lebensmittel tierischen Ursprungs: dreimal Milchprodukte, auch KĂ€se und Joghurt. Und ein weiteres Viertel teilen sich Fisch und Fleisch. Die dĂŒnne Spitze besetzen pflanzliche und tierische Fette zu gleichen Teilen, gekrönt vom entbehrlichen Luxus: den SĂŒĂigkeiten.
NatĂŒrlich isst nicht jedes Kind tĂ€glich wie im Bilderbuch. Aber es kommt aufs groĂe Ganze an. Verlassen Sie sich dabei nicht auf die WĂŒnsche und die Verlockung Ihres Kindes: Das hilft ihm in der wilden Welt der Lebensmittel ebenso wenig wie im StraĂenverkehr. Ein Kind braucht Begleitung und Vorbild. Doch machen Sie das Essen auch nicht zum Problem â die Freude daran sollte im Mittelpunkt stehen.
Was hat unsere Oma damit zu tun?
Feste Essenszeiten mit Esspausen sind die Basis einer guten ErnĂ€hrung. NatĂŒrlich brauchen kleine Kinder noch ein zweites FrĂŒhstĂŒck und nachmittags eine Kleinigkeit. Aber nicht nebenbei, sondern ganz bewusst am Tisch mit anderen. NatĂŒrliche Lebensmittel wie rohes Obst und GemĂŒse, Brot oder Milchprodukte sind ideal. Auch wenn man nicht so streng sein muss wie Michael Pollan mit seinen Essregeln wie: âEssen Sie nichts, was Ihre GroĂmutter nicht als Essen erkannt hĂ€tte.â Denn unsere Esswelt hat sich verĂ€ndert â und wir mit ihr. Trotzdem helfen ein paar Grundregeln: Als GetrĂ€nk geht nichts ĂŒber Wasser oder ungesĂŒĂte Tees. Alles, was Biss hat, signalisiert Ballaststoffe â und die kommen in unserem Schlabberlutsch-Schlaraffenland echt zu kurz. Am Zentrum steht aber die Tischgemeinschaft, das Miteinander, das Teilen, das GenieĂen: Essen ist eben viel mehr als Kohlenhydrate, EiweiĂ und Fett. Geben wir das unseren Kindern mit!
Die ErnĂ€hrungswissenschaftlerin und Autorin Dagmar von Cramm ist Mutter von drei mittlerweile erwachsenen Söhnen und GroĂmutter eines ersten Enkels. Seit dreiĂig Jahren beschĂ€ftigt sie sich mit dem Thema Baby- und KinderernĂ€hrung â in Form von MagazinbeitrĂ€gen und BuÌchern. Zuletzt erschienen âDas groĂe GU Kochbuch fuÌr Babys und Kleinkinderâ und âDas Veggie-Kochbuch fuÌr die Kitaâ. Seit 1995 ist sie auĂerdem ehrenamtliches Mitglied im PrĂ€sidium der Deutschen Gesellschaft fuÌr ErnĂ€hrung (DGE).