Die Empathiefähigkeit ist eine der wichtigsten sozialen Kompetenzen, die Kinder in ihrer Entwicklung erwerben können. Sie ist die Fähigkeit, die Gefühle, Gedanken und Perspektiven einer anderen Person zu erkennen, zu verstehen und sich in sie hineinzuversetzen. Empathie ist der Grundstein für Freundschaften, ein respektvolles Miteinander und eine harmonische Gesellschaft. In der Kita schaffen wir eine […]
Geschlechtsidentität oder Geschlechtserleben
Geschlechtsidentität oder Geschlechtserleben ist ein zentraler Begriff, der beschreibt, wie ein Mensch sein eigenes Geschlecht empfindet und versteht. Es geht dabei um das individuelle und innere Wissen darüber, ob man sich als Junge, als Mädchen, als beides, als keines von beidem oder als etwas anderes identifiziert. Dieses innere Gefühl ist unabhängig vom bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht (das oft anhand körperlicher Merkmale bestimmt wird) und auch unabhängig von der sexuellen Orientierung. In der Pädagogik, insbesondere in der Kita, ist das Verständnis von Geschlechtsidentität von großer Bedeutung, um allen Kindern einen sicheren, wertschätzenden und diskriminierungsfreien Raum zu bieten.
Das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht (Cis- und Transgeschlechtlichkeit)
Um das Konzept der Geschlechtsidentität zu verstehen, ist es wichtig, es vom bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht abzugrenzen:
- Bei der Geburt zugewiesenes Geschlecht (engl. Assigned Sex at Birth, ASAB): Dies ist das Geschlecht, das einem Menschen bei der Geburt anhand der äußeren Geschlechtsmerkmale zugewiesen wird (weiblich, männlich, intergeschlechtlich). Es wird oft im Pass oder in der Geburtsurkunde vermerkt.
- Geschlechtsidentität: Dies ist das innere und tief empfundene Gefühl des eigenen Geschlechts.
- Cisgeschlechtlichkeit: Wenn die Geschlechtsidentität eines Menschen mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt (z.B. eine Person, der bei der Geburt das Geschlecht „weiblich“ zugewiesen wurde und die sich als Frau identifiziert). Die meisten Menschen sind cisgeschlechtlich.
- Transgeschlechtlichkeit (Transidentität): Wenn die Geschlechtsidentität eines Menschen nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt (z.B. eine Person, der bei der Geburt das Geschlecht „weiblich“ zugewiesen wurde, die sich aber als Mann identifiziert, oder umgekehrt).
- Nicht-binäre Geschlechtsidentitäten: Einige Menschen identifizieren sich weder ausschließlich als Mann noch ausschließlich als Frau. Sie können sich als beides, als etwas dazwischen, als geschlechtslos (agender) oder als in der Geschlechtsidentität fließend (genderfluid) empfinden.
Es ist wichtig zu betonen, dass die Geschlechtsidentität keine bewusste Entscheidung oder Wahl ist, sondern ein tief empfundenes Wissen über sich selbst.
Geschlechtsidentität im Kindesalter
Die Entwicklung der Geschlechtsidentität ist ein komplexer Prozess, der bereits in sehr jungen Jahren beginnt:
- Erste Anzeichen (ca. 2-3 Jahre): Kinder beginnen, sich selbst und andere als Junge oder Mädchen zu kategorisieren, oft noch basierend auf oberflächlichen Merkmalen wie Kleidung oder Haarschnitt.
- Verständnis der Geschlechtskonstanz (ca. 4-7 Jahre): Die meisten Kinder entwickeln ein Verständnis dafür, dass das Geschlecht eine stabile Eigenschaft ist und sich nicht ändert, auch wenn sich äußere Merkmale wie Kleidung oder Haare ändern.
- Individuelles Erleben: Während sich die meisten Kinder im Einklang mit ihrem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht entwickeln, kann es bei einigen Kindern bereits im Vorschulalter zu einem „Geschlechtserleben“ kommen, das nicht dem zugewiesenen Geschlecht entspricht. Dies kann sich in der Wahl von Spielzeug, Kleidung, Rollenspielen oder der bevorzugten Anrede zeigen. Es ist wichtig, dies nicht als „Phase“ abzutun, sondern ernst zu nehmen.
Warum ist das Thema Geschlechtsidentität in der Kita wichtig?
Eine Kita, die sich mit dem Thema Geschlechtsidentität auseinandersetzt, schafft eine inklusive und sichere Umgebung für alle Kinder:
- Förderung der psychischen Gesundheit: Kinder, deren Geschlechtsidentität anerkannt und respektiert wird, fühlen sich sicherer, wohler und können sich besser entwickeln. Das Verleugnen oder Missachten der Geschlechtsidentität kann zu psychischem Stress, Angst und Depressionen führen.
- Prävention von Diskriminierung: Ein offener und vorurteilsbewusster Umgang mit Geschlechtsidentität hilft, Diskriminierung und Mobbing aufgrund des Geschlechts oder der Geschlechtsidentität zu verhindern.
- Stärkung des Selbstwertgefühls: Wenn Kinder erfahren, dass ihre Gefühle und ihre Identität ernst genommen werden, stärkt das ihr Selbstwertgefühl und ihre Selbstakzeptanz.
- Förderung von Empathie und Toleranz: Kinder lernen, dass es verschiedene Arten gibt, ein Junge, ein Mädchen oder etwas anderes zu sein. Dies fördert ihre Empathie und Offenheit gegenüber Vielfalt.
- Chancengleichheit: Die Möglichkeit, sich frei von Geschlechterstereotypen zu entfalten, ermöglicht es allen Kindern, ihre Potenziale voll auszuschöpfen, unabhängig von gesellschaftlichen Erwartungen an ihr Geschlecht.
Wie wird Geschlechtsidentität in der Kita berücksichtigt und gefördert?
Ein geschlechterreflektierter und geschlechtsidentitätssensibler Ansatz in der Kita basiert auf folgenden Prinzipien:
- Haltung der Fachkräfte:
- Offenheit und Akzeptanz: Die wichtigste Grundlage ist eine offene, akzeptierende und vorurteilsbewusste Haltung aller pädagogischen Fachkräfte gegenüber der Vielfalt von Geschlechtsidentitäten.
- Reflexion eigener Stereotypen: Pädagogische Fachkräfte sollten ihre eigenen Annahmen und Stereotypen über „Jungen“ und „Mädchen“ reflektieren und hinterfragen.
- Sensibilität für Sprache: Bewusste Verwendung einer geschlechterinklusiven Sprache (z.B. „Kinder“ statt „Jungs und Mädels“, „Eltern“ statt „Mütter und Väter“).
- Bereitschaft zum Lernen: Die Bereitschaft, sich kontinuierlich über das Thema weiterzubilden und sich mit neuen Erkenntnissen auseinanderzusetzen.
- Raumgestaltung und Materialauswahl:
- Genderneutrale Bereiche: Alle Bereiche der Kita sollten für alle Kinder zugänglich sein, unabhängig vom Geschlecht. Bauecken für Mädchen, Puppenecken für Jungen.
- Geschlechtervielfalt in Materialien: Bücher, Puzzles, Poster und Spielzeuge sollten eine Vielfalt von Geschlechtsausdrücken und Familienformen darstellen. Puppen mit verschiedenen Hautfarben, Frisuren und Kleidung, die nicht geschlechterstereotyp ist. Bücher, die trans- oder nicht-binäre Charaktere zeigen.
- Hinterfragen von Klischees: Wenn in Medien oder Spielzeugen Geschlechterklischees auftauchen, diese mit den Kindern thematisieren und kritisch hinterfragen.
- Pädagogische Interaktion:
- Beobachtung und Ernstnehmen: Die Wünsche, Präferenzen und Äußerungen der Kinder bezüglich ihrer Geschlechtsidentität ernst nehmen und beobachten, ohne sofort zu interpretieren oder zu bewerten.
- Respektierung des Namens und der Pronomen: Wenn ein Kind einen anderen Namen oder andere Pronomen (z.B. „er“, „sie“, „dey“ bei nicht-binären Personen) bevorzugt, diese respektieren und verwenden. Dies ist ein grundlegender Ausdruck von Respekt und Anerkennung.
- Förderung freier Entfaltung: Ermöglichen, dass Kinder alle Spielbereiche erkunden, sich frei kleiden und ihre Interessen verfolgen können, ohne dass Geschlechterstereotype ihre Wahl einschränken.
- Thematisierung von Vielfalt: Altersspezifisch und altersgerecht die Vielfalt von Geschlechtsidentitäten ansprechen, z.B. durch Geschichten oder Gespräche über verschiedene Familien oder Lebensweisen.
- Elternarbeit:
- Offener Dialog: Einen offenen und vertrauensvollen Dialog mit den Eltern führen, insbesondere wenn ein Kind Anzeichen einer von der Norm abweichenden Geschlechtsidentität zeigt.
- Informationsangebote: Eltern über das Thema Geschlechtsidentität informieren und auf externe Beratungsstellen hinweisen, falls Bedarf besteht.
- Sensibilität und Vertraulichkeit: Sensibel und vertraulich mit den Informationen umgehen, die Eltern oder Kinder über ihre Geschlechtsidentität teilen.
Die Kita als sicherer Raum für vielfältige Geschlechtsidentitäten
Die Geschlechtsidentität ist ein fundamentaler Aspekt der menschlichen Identität. Eine Kita, die ein Verständnis für und eine Sensibilität für Geschlechtsidentität entwickelt, schafft einen inklusiven, wertschätzenden und sicheren Ort für alle Kinder. Sie trägt dazu bei, dass Kinder sich frei entfalten können, ihr Selbstwertgefühl gestärkt wird und sie lernen, die Vielfalt der menschlichen Identitäten zu akzeptieren und zu schätzen. Dies ist ein wichtiger Schritt hin zu einer gerechteren und offeneren Gesellschaft.