Richtig reden Du sollst? - Kita kinderzimmer Hamburg

Richtig reden Du sollst?

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Text: Christiane Löll

„Soll ich auf den Baum kleckern und den Luftabong holen?“ Wenn Kinder sprechen lernen, dann hört sich das oft putzig an. Denn sie machen Fehler, die manchmal ungewollt komisch sind. Doch über Versprecher, die Eltern bei ihrem Dreijährigen noch lustig fanden, können sie ein Jahr später nicht mehr lachen. Ob das noch normal ist, fragen sich viele. Oder ob das Kind vielleicht Unterstützung braucht?

„Weil Kinder in so unterschiedlichem Tempo sprechen lernen, ist es für Eltern oft nicht leicht zu beurteilen, ob ihr Kind altersgerecht spricht“, erklärt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Nicht jede Auffälligkeit ist gleich eine Störung, die behandelt werden muss. Machen sich Eltern Sorgen, weil ihr vierjähriges Kind sich kaum verständlich ausdrückt, raten Experten aber, die Ursachen klären zu lassen. „Der erste Gang führt dann zum Kinderarzt, der bei Bedarf ein Rezept für eine logopädische Behandlung ausstellen kann“, sagt Sonja Utikal, Referentin beim Deutschen Bundesverband für Logopädie in Frechen.

Oft verordnen die Kinderärzte eine solche Sprachtherapie im Rahmen der regulären U-Vorsorgeuntersuchungen. „Wichtig ist zum Beispiel die U 7a im Alter von drei Jahren, da können wir verschiedene Tests durchführen“, sagt Dr. Stefan Renz vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte in Hamburg. Bevor der Arzt eine Logopädie verordnet, macht er aber einen Hörtest mit dem Kind.

Die Akteure im Gesundheitssystem diskutieren regelmäßig darüber, ob Sprachtherapien zu oft oder zu selten verordnet werden. Bekommen die Kinder, die sie wirklich brauchen, die richtige Förderung? Der Kinderarzt Professor Dr. Hans-Michael Straßburg aus Würzburg erzählt, dass viele Eltern bei der Beurteilung, ob ihr Kind altersgemäß entwickelt ist, sehr unsicher sind. Demnach erleben Ärzte immer wieder Druck durch Eltern, die eine logopädische Therapie für ihr Kind wollen. „Aber auch Eltern berichten vom Druck durch Ärzte und Erzieher, dass sie ihr Kind untersuchen und behandeln lassen sollten“, sagt Straßburg, der am Universitätsklinikum Würzburg das Frühdiagnosezentrum geleitet hat und inzwischen im Ruhestand ist. „Es möchte sich einfach keiner Vorwürfe machen lassen, man habe etwas bei der Förderung eines Kindes versäumt.“ Eine Gesamtzahl, wie oft und in welchem Alter Kinder eine Sprachtherapie verordnet bekommen, gibt es beim Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen nicht. Die Zahlen einzelner Krankenkassen legen aber nahe, dass Kinder am häufigsten im Vorschulalter und mit etwa sechs Jahren zum Logopäden gehen.

Wann eine Sprachentwicklungsverzögerung vorliegt.

Bei der Diagnostik unterscheiden Experten drei Kategorien. Es gibt zum einen die sogenannte umgebungsbedingte Sprachauffälligkeit. Diese können Kinder haben, die in einem „sprachanregungsarmen Umfeld“ aufwachsen – oder in deren Familie ausschließlich eine andere Sprache gesprochen wird, erklärt die Logopädin Sonja Utikal. Von einer Sprachentwicklungsverzögerung ist die Rede bis zu einem Alter von drei Jahren, wenn die Kinder bei Sprachverständnis, Aussprache, Wortschatz und Grammatik ihrer Altersnorm um mindestens sechs Monate hinterherhinken. Nach dem dritten Lebensjahr heißen Abweichungen vom normalen Spracherwerb Sprachentwicklungsstörung. Ihnen sollte man bei der logopädischen beziehungsweise sprachtherapeutischen Diagnostik intensiver nachgehen, sagt Utikal. Eltern sind oft unsicher, ob bei ihrem Kind alles in Ordnung ist – schließlich ist das individuell sehr unterschiedlich. Für Laien sei es schwierig zu hören, um welche Sprach- oder Sprechauffälligkeit es sich handeln könnte. Sagt das Kind zum Beispiel „Tasse“ statt „Kasse“ – oder macht es andersherum aus „Tasse“ das Wort „Kasse“? „Die zugrunde liegende Problematik wäre in diesen beiden Fällen eine jeweils völlig unterschiedliche, was deshalb auch unterschiedliche Behandlungsempfehlungen zur Folge hätte“, sagt Utikal.

Praktische Tipps für Eltern.

Schon im Alltag können Eltern ihrem Kind beim Sprechenlernen helfen, sagt Neuropädiater Straßburg. So sollte das Kind einerseits von den Erwachsenen mit klaren Worten und viel Blickkontakt angesprochen werden. Und: Das Kind sollte viel mit anderen, normal sprechenden und unterschiedlich alten Kindern zusammen sein. „Man muss sich immer wieder klar darüber sein, dass es bei einer logopädischen Behandlung nicht so entscheidend ist, was in dieser Zeit in der Praxis passiert, sondern wie die Eltern das zu Hause umsetzen, was sie geraten bekommen haben“, sagt Straßburg.

Einen Tipp fürs Üben zu Hause gibt Kinderarzt Renz: Wenn ein Kind zum Beispiel „taufen“ statt „kaufen“ sagt oder „Tuchen“ statt „Kuchen“, dann bringe es wenig, das Kind diese einzelnen Wörter immer wieder aufsagen zu lassen. „Es ist besser, diesen Begriff einzubinden in einen Satz oder eine Geschichte“, meint Renz. „Ihn immer wieder richtig zu wiederholen und dem Kind dabei in die Augen zu schauen, um eine emotionale Nähe aufzubauen.“ Utikal empfiehlt zur Unterstützung beim Sprechenlernen beispielsweise Singspiele, Fingerreime, Klatsch- oder Bewegungsspiele. Wichtig sei auch eine ruhige Sprache in Alltagssituationen. Und sie empfiehlt, mit dem Kind „in Kontakt“ zu sein. „Ich beobachte häufig, dass Mütter auf ihr Smartphone schauen, während sie mit einem kleinen Kind unterwegs sind, oder ihm das Gerät zum Spielen geben.“ Auch wenn es anstrengender sein mag: „Binden Sie das Kind in die Einkaufsroutinen ein, beteiligen Sie es über Fragen.“ Eltern können beispielsweise sagen: „Suchst Du bitte mal die Nudeln – siehst Du sie schon?“ Es helfe, das Eingekaufte zu versprachlichen, sagt die Logopädin. „Dadurch wird das Sprechenlernen kinderleicht.“

Dieser Text erschien erstmals bei Welt.de in der Rubrik Wissenschaft.