Wie lernen wir zählen? - Kita kinderzimmer Hamburg

Wie lernen wir zählen?

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Text: Christian Heinrich

Eins, zwei, vier, fünf, sechs. Drei vergessen, macht nichts. Ein Kind darf beim Zählen mal was falsch machen, vor allem am Anfang. Auch doppelt zählen, alles normal. Es betritt eine neue Welt, da muss man sich erst mal orientieren. „Das Zählen ist der allererste Schritt in Richtung Mathematik“, sagt Jens Holger Lorenz, Professor am Institut für Mathematik und Informatik an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Und dieser Schritt, das Zählen, wird in fünf Stufen erlernt. Bei der ersten Stufe – sie startet ab einem Alter von etwa zweieinhalb Jahren – ist die Reihe von Zahlwörtern nur als Ganzes und unstrukturiert verfügbar: „Einszweidreivier …“ – die Zahlwörter werden wie ein Gedicht nachgesprochen, von der Verbindung des Zählens mit Mengen weiß das Kind noch nichts.

Bei Stufe zwei kann das Kind einzelne Zahlwörter schon klar unterscheiden, es ist jedoch immer ein Beginn bei der Eins notwendig. Im Alter von dreieinhalb bis vier Jahren ist diese Fähigkeit so weit ausgebildet, dass die Kinder tatsächlich mit dem Finger nacheinander auf Objekte deuten und dabei die Zahlwörter zum Zählen – meist bis zu einer Menge zwischen fünf und zehn – in der richtigen Reihenfolge benutzen können. Es ist völlig normal, dass auf diesem Niveau oft noch ein Objekt übersehen oder dasselbe Objekt zweimal gezählt wird. Wichtig ist: Das Kind bringt Struktur in seine Umwelt, und das bereitet ihm Freude – auch wegen der Erfolgserlebnisse.

Auf der dritten Stufe, sie ist im Alter von etwa fünf Jahren abgeschlossen, wissen die Kinder zumindest in den Grundzügen, wie dieses Zählen, das sie dauernd machen, überhaupt funktioniert und welchen Sinn es hat: Den Kindern ist klar, dass sie mit der Eins anfangen müssen beim Zählen und dass die zuletzt genannte Zahl die Anzahl der Objekte angibt.

In der vierten Stufe – sie beginnt meist mit sechs Jahren und erstreckt sich bis in die Schulzeit hinein – kann das Kind nicht nur Objekte zählen, sondern auch Zahlen selbst. Das ermöglicht erste einfache Additionen: Zwei und zwei sind zusammen vier. In der fünften Stufe, die erst während der Schulzeit einsetzt, kann auch rückwärts gezählt werden.

Die verschiedenen Stufen des Zählens zumindest ungefähr zu kennen kann für Eltern und Erzieher wertvoll sein, damit sie die Kinder anregen und unterstützen können beim Erlernen des Zählens. Bei aller Förderung sollten Sie Ihr Kind zwar nicht überfordern, denn wenn Mathe keinen Spaß macht, dann fehlt das Wichtigste beim Lernen: die Motivation. Aber gelegentliche sanfte Impulse können viel bringen. Denn das Zählen ist laut Jens Holger Lorenz eine sehr wichtige Fertigkeit: „Die Kinder lernen durch das Zählen nicht nur die Zahlen kennen. Es hilft ihnen auch, zu abstrahieren und ihr logisches Denken weiterzuentwickeln.“ Darüber hinaus legt das Zählen die Grundlage für das Lösen der ersten Rechenaufgaben in der Schule, denn mit dem Zählen lassen sich im Grunde alle vier Grundrechenarten – Addieren, Subtrahieren, Multiplizieren, Dividieren – anwenden. Jens Holger Lorenz drückt es so aus: „Zählen ist das Schweizer Taschenmesser der Mathematik.“

Finger für Finger.

Dabei scheint ein gewisses Gefühl für Mengen offenbar bereits angeboren zu sein. In Experimenten konnte man es bereits bei wenige Wochen alten Säuglingen nachweisen. Bei den meisten solcher Untersuchungen messen die Forscher, wie lange sich der Säugling mit einem neuen Reiz beschäftigt. Es gilt: Wenn sich der Winzling auf einen Reiz länger konzentriert, dann ist dieser neu für ihn. Umgekehrt wendet sich ein Säugling rascher wieder ab, wenn er den Reiz als schon bekannt einstuft. Zeigten Wissenschaftler nun Bilder mit einem Objekt, mit zwei Objekten oder mit mehreren Objekten, dann richtete sich die Neugier der Kinder auch nach der Anzahl und nicht nur nach den Objekten selbst.

Doch erst ab einer gewissen Sprachfähigkeit mit etwa zweieinhalb kommt die Fähigkeit hinzu, mithilfe von Wörtern den Weg zur Mengenlehre zu gehen. Kinder in diesem Alter könnte man also, wenn man wollte, morgens bis abends zum Zählen anregen. Die Kleidungsstücke beim Anziehen, die Treppenstufen, die Autos auf dem Parkplatz, die Lichter an der Ampel. Doch ständig alles zählen müssen, da wäre das Zählen nicht mehr Freude, sondern unangenehme Pflicht. Ab und zu bei Kindern spielerisch das Zählen einzubauen, nicht dauernd, aber ruhig mehrmals am Tag – das ist laut Lorenz ebenso wünschenswert wie förderlich. Das geschieht auch im kinderzimmer: Wir zählen die Kinder im Morgenkreis, die Spielzeuge, die Teller beim Essen und vieles mehr.

Übrigens ist das Zählen auch kulturell geprägt. So fängt man etwa in Deutschland meist mit dem Daumen an zu zählen und öffnet Finger für Finger die ganze Hand. In den USA hingegen beginnt man normalerweise mit dem Zeigefinger, der Daumen kommt als Letztes für die Fünf. In Japan und Korea wiederum beginnt man zwar wie in Deutschland mit dem Daumen, startet jedoch mit der offenen Hand und knickt die Finger nach und nach ein. Eine Gemeinsamkeit gibt es aber: Alle Kinder zählen mit den Fingern. Und die, sagt Lorenz, sollten sie auch unbedingt benutzen dürfen – gern bis weit in die Schulzeit hinein!