Macht Musik schlau? - Kita kinderzimmer Hamburg

Macht Musik schlau?

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Ein Interview mit Professor Dr. Eckart Altenmüller von der Musikhochschule in Hannover, von Max Jagusch.

Musizieren fordert das Gehirn in selten komplexer Weise heraus, weil es Hören und Sehen, Fühlen und Tasten, Bewegung und Koordination, Imagination und Kreativität in besonders intensiver Weise miteinander verbindet. Eine musikalische Früherziehung steigert die geistige Beweglichkeit, die Fähigkeit, sich rasch von einem Gedanken auf den nächsten einzustellen. Und: Sie wirkt sich positiv auf das Sprachvermögen und das Selbstbild von Kindern aus! Warum das so ist? Instrumentenklänge und die menschliche Sprache sind sich sehr ähnlich. So reagiert unser Gehirn auf Sprache und auf Tonfolgen mit fast identischen Aktivitätsmustern. Das menschliche Gehirn, so vermuten Wissenschaftler, scheint keinen großen Unterschied zwischen musikalischer und sprachlicher Information zu machen. Doch wie genau macht Musik uns schlau, und unter welchen Voraussetzungen kann sie uns sogar beim Lernen und Konzentrieren unterstützen? Darüber haben wir mit Professor Dr.Eckart Altenmüller von der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover gesprochen, er ist seit 1994 Direktor des Instituts für Musikphysiologie und Musikermedizin und forscht zu den Auswirkungen von Musik auf unsere Intelligenz – auch schon bei den Jüngsten.

Wie wirkt sich Musik auf die frühkindliche Entwicklung aus – sowohl das Zuhören, aber auch das eigene Singen und Betätigen von Instrumenten oder Spielzeug mit Musik?
Musikhören fördert die akustische Mustererkennung und damit die Sprachentwicklung. Die Kinder hören genauer zu und können etwa den Stimmklang von Menschen besser unterscheiden. Damit einher geht eine verbesserte Vernetzung von Nervenzellen in den Hörzentren des Gehirns. Musikmachen ist dem Menschen ja angeboren – schon Säuglinge erproben ihre Stimmklänge und lallen, juchzen, lachen, weinen. Dann fangen sie mit zwei bis drei Jahren meist spontan an zu singen. Das fördert die Vernetzung zwischen Hören und Bewegen im Gehirn. Die kleinen Kinder nehmen das lustvolle Singen als Übungsplatz für den Spracherwerb.

Haben Kinder, die früh mit Musik in Berührung kommen, anderen Kindern gegenüber Vorteile?
Ja, sie haben eine genauere Hörwahrnehmung und können auch zum Beispiel die Emotionen im Sprachklang anderer Kinder und der Erwachsenen schneller und präziser erfassen.

Was löst Musik eigentlich genau im Kopf aus?
Seit über zwanzig Jahren werden vor allem klassische Methoden der Hirnforschung eingesetzt, um zu unter- suchen, wie das Musizieren die Hirnvernetzung verändert. Dabei konnte man zeigen, dass schon die erste Klavierstunde mit zwanzig Minuten am Instrument zu einer dichteren Vernetzung und vergrößertem Informationsaustausch zwischen den Zentren im Gehirn, die für das Hören zuständig sind, und den Zentren, die für das Bewegen zuständig sind, führen.

Was genau hat das für Auswirkungen auf uns?
Es führt zu schnelleren Reaktionsgeschwindigkeiten und ermöglicht auch im Alltag bessere Leistungen bei allen Aufgaben, die Hören und Bewegen betreffen, etwa beim Erlernen feinmotorischer Fertigkeiten, die Geräusche erzeugen, wie das Bedienen einer Tastatur. Vor allem verbessert es die sogenannten exekutiven Funktionen wie die Steuerung der Aufmerksamkeit, die Konzentration auf Details und die Unterdrückung von ungünstigen Impulsen.

In welchem Alter sollten Kinder mit einem Instrument beginnen?
Wenn man sehr früh anfängt mit dem Musizieren, also vor dem siebten Lebensjahr, erreicht man die effizienteste, nachhaltigste und stabilste Hirnvernetzung. Damit kann man später auch musikalisch in den Bereichen Virtuosität, Schnelligkeit und Fingerspitzengefühl die größten Leistungen erbringen. Wer später anfängt, kann natürlich immer noch ein großartiger Musiker werden – aber er wird nicht in die technisch höchste Klasse aufsteigen können.

Welche weiteren Effekte früher Heranführung an Musik sind bekannt?
Wenn wir den reinen IQ messen, sind die sogenannten Transfereffekte von Musizieren auf die Intelligenzleistung – sprachliche, verbale, mathematische, räumliche Kompetenzen – eher gering. Sie liegen bei etwa drei bis fünf IQ- Punkten. Starke Auswirkungen hat das Musizieren allerdings auf die emotionalen Fähigkeiten: Kinder, die Musik machen, haben eine feinere Wahrnehmung der Emotionen anderer Kinder. Das wird darauf zurückgeführt, dass sie viel genauer heraushören, wie der Klang der Stimme ist. Dadurch werden sie schließlich kooperativer und hilfsbereiter.

Welchen Unterschied gibt es denn zwischen dem Hören und dem Machen von Musik?
Beim Musikmachen muss das Gehirn einerseits die ganzen Sinneseindrücke wie das Hören, Fühlen und Sehen verarbeiten, anderseits gleichzeitig Bewegungen planen und koordinieren. Außerdem sind zum Musizieren auch Emotionen nötig. Das alles sind Fähigkeiten, die das gesamte Gehirn massiv in Anspruch nehmen. Musikhören führt dagegen zu einer Aktivierung vor allem der Hörregionen und kann bewirken, dass wir uns wohlfühlen oder bestimmte kognitive Leistungen besser meistern.

Und wie kann Musikhören das Lernen unterstützen?
Wenn sie richtig eingesetzt wird – also vor allem bei Fertigkeiten, die nicht verbal sind. Musik hören würde ich auf keinen Fall, wenn ich Vokabeln lernen muss, weil sowohl beim Vokabelnlernen als auch beim Musikhören dieselben Regionen im Gehirn angesprochen werden. Das Lernen wird durch die Musik gestört. Wenn Sie allerdings Musik hören und nebenbei Mathematik oder Physikaufgaben lösen, dann geht das relativ gut. Kinder und Jugendliche können intuitiv bei Musikstücken, die sie kennen und die nicht zu sehr ablenken, eine bessere Lernleistung erbringen.

Was ist mit der „absoluten Ruhe“?
Wenn ich eine geistig sehr anspruchsvolle Aufgabe habe und schwierige Denkprozesse durchführen muss, ist in der Regel die absolute Ruhe förderlich. Das ist allerdings altersabhängig: Junge Menschen sind in der Lage, sehr viel leichter Musik auszublenden. Das fällt älteren Menschen zunehmend schwer. In Restaurants mit lauter Hintergrundmusik gehen eher junge Leute, weil sie sich weniger gestört fühlen. Ältere Menschen suchen sich Restaurants aus, die keine oder sehr leise Hintergrundmusik spielen.

Das Interview erschien zuerst in der „OstseeZeitung“. Es wurde für das kiziPendium redaktionell bearbeitet.