Was passiert im Morgenkreis? - Kita kinderzimmer Hamburg

Was passiert im Morgenkreis?

  • Circa 4 Minuten Lesezeit

Text: Vivian Alterauge | Foto: Sonja Tobias

Der Bauch ist frühstücksvoll, die Hände gewaschen, die Laune fabelhaft. So strömen die Kinder, wenn das Wort Morgenkreis erklingt, wie von einem Magneten angezogen zum Teppich. Sie wuseln durcheinander, es ist, als führten sie ein Tänzchen auf – bis jeder seinen Platz gefunden hat. Alle nehmen sich an den Händen, und dann geht es los. Herzlich willkommen im Morgenkreis.

Der Kreis ist ein uraltes Modell für Kommunikation. Schon in der Antike, das belegen Höhlenmalereien, saßen die Menschen zusammen, um sich auszutauschen. Selbst in großen und kleinen Unternehmen liegt es im Trend, wichtige Themen im Kreis zu besprechen oder Workshops im Stuhlkreis zu beginnen. Bei Erwachsenen ruft das Im-Kreis- Sitzen dennoch die wildesten Assoziationen hervor: Man denkt unwillkürlich an therapeutische Zusammenkünfte mit einem Vorredner. Aber auch Abende am knisternden Lagerfeuer, Gitarrenmusik, ein Lied singen. Die Nacht war schwarz und ruhig, nur das Feuer flackerte. Und plötzlich ist er wieder ganz nah, der Kreis.

Schon in der Antike saßen die Menschen im Kreis zusammen.

Kreise ziehen sich durch unser ganzes Leben. Und so finden wir es wichtig, schon die Kleinsten in den Morgenkreis einzuladen. Einzuladen deshalb, weil niemand zu diesem Morgenritual gezwungen wird. Jeder ist willkommen. Klar, wer mal keine Lust hat, der darf etwas anderes spielen. Meistens versammeln sich am Ende aber alle um den runden Teppich in jeder Gruppe und freuen sich riesig auf das morgendliche Ritual. Dann gibt es erst einmal ein großes Hallo. Jedes Kind wird begrüßt – entweder von den Pädagogen, oder aber wir singen ein Lied, bei dem die Kinder ihren Namen nennen können, „Ich bin da“ zum Beispiel.

Ich bin da, ich bin da, ich bin da! Das ist wahr, das ist wahr, das ist wahr.Nicht da oben, nicht da unten, nicht da vorne, nicht da hinten, nicht daneben, sondern da!Das ist wahr und wunderbar!

Kaum fünf Minuten sind vergangen, und die Kinder haben schon viel mitgenommen. Sie fragen sich, was? Nun, die Kinder lernen die Namen der anderen, lernen das Zählen, indem sie sich gegenseitig zählen, bekommen ein Bewusstsein für die Gruppe und wer dazugehört. Und sie hören ein Lied. Worte gepaart mit Melodie, eine wunderbare und wichtige Art, das Sprechen zu lernen und zu trainieren. Wie es danach weitergeht, entscheiden die Kinder mit. Sie lernen über ihre Bedürfnisse zu sprechen und dass diese Einfluss auf die Gruppenprozesse haben. Das nennt man Partizipation.

Leonard will ein Lied über den Herbst singen, Emma lieber über die Baustelle reden, an der sie jeden Tag auf dem Weg zur Kita vorbeikommt. Wollen wir also lieber Tannenzapfen und Moos in die Mitte legen und „Der Herbst ist da“ singen? Oder über die Baustelle reden? Der Morgenkreis bietet sowohl Erziehern als auch den Kindern eine Fülle an Gestaltungsmöglichkeiten und hilft, sich auf Themen zu besinnen. Die Kinder wissen: Es gibt jeden Tag Platz für Dinge, die sie beschäftigen. Aber sie lernen auch: Die Mehrheit entscheidet. Die meisten möchten das Herbstlied singen, die Baustelle wird verschoben.

Hier lernen sie: Die Mehrheit entscheidet.

Auch wenn dies zunächst frustrierend sein mag für Emma: Sie lernt, dass die Meinungen anderer ebenso zählen. Und dass sie Frust auch mal aushalten muss. Eine Gruppe in der Kita singt zum Beispiel englische Lieder und zählt alle Kinder auf Englisch durch. Oder Spanisch, Polnisch, Italienisch – je nachdem, welche Sprache die Kinder noch sprechen können. Danach wird über das Wetter geredet. Wenn es Konflikte in der Gruppe gibt, dann werden sie dort behandelt. „Morgenkreis ist die Zeit, in der die Kinder fokussiert sind“, sagt eine Erzieherin aus dem Elementarbereich.

Bei den ganz Kleinen ist die Interaktion zunächst einmal passiv. Der Erzieher singt ein Lied, und vielleicht können die Großen auch schon das ein oder andere Wort mitsingen, die Kleinsten hören zunächst gebannt zu und steigen dann mit ihrer ganz eigenen Sprache ein. Oder sie sind nonverbal voll dabei und schaukeln hin und her. Natürlich ist die Freude riesig, wenn die Kinder merken, dass sie mitklatschen können. Pauline fängt erst bei der fünften Wiederholung an, die Arme nach oben zu werfen, wenn alle anderen das tun. Nächstes Mal braucht sie nur drei Wiederholungen. So gehen die Kinder mit jedem Morgenkreis einen Schritt weiter in ihrer Entwicklung.

Als der Erzieher ein paar Tiere herausholt, die die Kinder benennen können und zu denen sie etwas erzählen, rücken die Kinder vom Rand des Teppichs dichter zusammen. Da ist etwas Interessantes, da müssen wir hin. Und so kann es passieren, dass selbst die quirligsten Kinder eine Viertelstunde lang still sitzen – weil alles so aufregend ist. Irgendwann hat aber auch der schönste Morgenkreis ein Ende. „Mimamei, der Morgenkreis ist vorbei“, beschließt der Erzieher. Bis zum nächsten Kreis.