Stadt oder Land: Wo wohnen Kinder besser? - Kita kinderzimmer Hamburg

Stadt oder Land: Wo wohnen Kinder besser?

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Text: Roland Rödermund

Stadt?

Mama, Papa, Lenny und ich wohnen an einer großen Straße. Es gibt ein paar Bäume mit Zäunen drum. Und ein Blumenbeet für alle, wo manchmal nachts Leute einfach so was pflanzen! Gorilla-Gärtnern oder so hat Mama das mal genannt, das fand ich lustig. Neulich haben wir da Tomaten geerntet. „Die sind für alle da“, sagt Papa. In unserem Haus sind viele Wohnungen, meine Eltern mögen aber nur so richtig gern die Familie Lenz nebenan und die al-Farabis obendrüber. Wir haben einen kleinen Balkon. Es ist oft laut draußen. Jeden Morgen bringt Papa mich mit der Bahn in die Kita, oder Mama fährt mich mit dem Fahrrad, bevor sie zur Arbeit muss. Lenny, mein großer Bruder, darf schon allein mit dem Bus zur Schule fahren. Abends, wenn ich nach Hause komme, muss Mama oft noch was arbeiten. Papa geht nicht in ein Büro, er arbeitet mal zu Hause, manchmal geht er für ein paar Tage in eine Firma. Am Wochenende sind wir oft auf dem Abenteuerspielplatz, im Zoo – oder gehen erst spazieren und dann ins Café. Aber wir sind auch ganz schön oft im Museum oder dürfen ins Kindertheater. Meine eine Oma und mein einer Opa wohnen ganz weit weg, in München. Die anderen beiden nicht so weit, in Ostfriesland, die sehen wir aber auch selten. Wo wir wohnen, sieht es aus wie auf einem Suchbild in meinem Wimmelbuch: Hier ist ein Café, da zwei Geschäfte für Anziehsachen, hier ein Skateshop, da ein Laden mit ganz vielen Obst- und Gemüsesorten. Muhti, der Verkäufer, schenkt mir immer eine Feige, wenn wir da sind. In der Nähe von unserem Haus sitzt ein älterer Mann auf der Straße. Mama meint, dass er kein Zuhause hat – und gibt ihm deshalb manchmal einen oder zwei Euro, damit er sich was zu essen kaufen kann. Er hat einen süßen Hund. „Wir haben zu wenig Platz, das würde dem Hund bestimmt nicht so gut gefallen“, sagt Mama.

Land?

Morgens, wenn ich zur Kita laufe, steht Mama immer am Gartentor und winkt. Daneben steht Pelle, unser Hund, und bellt einmal laut, kurz bevor ich um die Ecke biege. Es ist gar nicht weit, nur die Straße runter. Wir wohnen in einem großen Haus, und im Garten sind eine Sandkiste, eine Schaukel, und wenn es nicht so kalt ist, darf ich Matze und Hoppel draußen laufen lassen. Das sind unsere Kaninchen. Mama buddelt am liebsten im Gemüsebeet herum, da gibt es Tomaten, Zucchini, Kartoffeln, Gurken und Grünkohl. Ich hab eine ältere Halbschwester, und Mama kriegt bald Zwillinge. Zwei kleine Geschwister auf einmal – dann bin ich zweimal große Schwester! „Gut, dass wir so viel Platz haben“, sagt Mama. Ich hoffe, dass sich Pelle mit denen verträgt, das ist manchmal, glaube ich, nicht so leicht, wenn der Hund zuerst da ist. Ich schlafe ganz oft bei Oma und Opa, die haben einen Bauernhof – aber es gibt nicht mehr viele Tiere, nur Hühner. „Die Tiere haben sich nicht mehr rentiert“, hat Oma gesagt. Ich hab das nicht verstanden und an Rudolf mit der roten Nase gedacht, wegen Rentier. Wir kriegen da immer Eier und Milch von einem anderen Bauern. Opa hat gesagt, vielleicht schenkt mir Papa bald ein Pony, das fand Papa nicht so gut. Mama wollte auch nicht Bäuerin werden, und sie und Papa sind Lehrer. Meine Eltern kennen eigentlich die meisten Leute hier im Ort. Am liebsten tobe ich mit den anderen Kindern im Wald – das darf ich aber nur, wenn unsere Eltern in der Nähe sind. Neulich haben wir ein Insektenhotel im Garten gebaut, und Papa hat mir erklärt, wieso Bienen so wichtig sind und dass sie vom Aussterben bedroht sind. Ich bin eigentlich immer draußen, spiele nachmittags Fußball, fahre Fahrrad, tobe auf der Wiese rum – außer wenn es doll regnet. Aber auch dann gehen wir mit Pelle spazieren. Was ich nicht so gut finde: Wenn ich in die Schule komme, muss ich voll weit mit dem Bus fahren.

Alles im Fluss!

Sie und Ihre Familie wohnen in der Nähe der Innenstadt, in Hamburg, München oder Stuttgart? Oder im Einzugs- gebiet, am Stadtrand, in einer Kleinstadt? Oder auf dem Land, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen? Wenn Kinder auf dem Land leben, wachsen sie oft in größerer Nähe zur Natur auf: Sie spielen freier und un- beaufsichtigter draußen, sie müssen natürlich auch im Straßenverkehr aufpassen, aber nicht jeden Tag mehr- spurige Straßen überqueren, um von A nach B zu kommen. Sie haben zu Hause mehr Platz für ein Haustier, dafür müssen ihre Eltern oft eine Dreiviertelstunde mit dem Auto fahren, um zum Kinderarzt zu kommen. Stadtkinder lernen ungezwungener den Austausch mit verschiedenen Kulturen, sie haben viel mehr Angebote zum Spielen, aber auch viel mehr Ablenkung. Als Eltern fragt man sich ja oft, wo es für die Kinder schöner und „lebenswerter“ ist (das Gras ist immer grüner auf der anderen Seite!). Verpassen wir was, wenn wir auf dem Dorf leben? Haben die Kinder hier genug Möglichkeiten zur Entfaltung? Oder, die andere Seite: Reicht der Stadtpark als Natur? Der Balkon als Gartenersatz? Ja, vielleicht wäre unser Kind lieber auf dem Land, oder es wäre für uns als Familie harmonischer. Vielleicht aber auch nicht, und unser Sohn oder unsere Tochter würde mit fünfzehn vor Langeweile eingehen. Denn er oder sie wäre lieber ein richtig cooles City-Kid. Und was ist eigentlich mit uns Erwachsenen? Eltern vergessen oft, sich zu fragen, was sie eigentlich selbst möchten – und denken in erster Linie an das vermeintliche Wohl ihrer Kinder.Aber auch wir müssen uns wohlfühlen. Und wo wir sind, wo wir leben, ist es richtig. Egal ob in der Millionenmetropole, der Kleinstadt oder im 300-Seelen-Ort – oder irgendwo dazwischen. Egal ob wir nur den Streichelzoo im Stadtwald besuchen, den Hund vom Nachbarn ausführen, einen Zwerghamster haben – oder einen ganzen Stall voller Tiere zu Hause. Kleine Kinder denken nicht darüber nach, dass in ihrer Heimat zu viele Menschen wohnen – oder zu wenige. Aber ob sie tierlieb, verkehrssicher, offen im Umgang mit ungewohnten Situationen oder fremden Menschen werden und später als Forstarbeiter, Dorflehrer, Programmierer oder Städteplaner arbeiten, hat auch mit unserem Einfluss zu tun, egal wo wir leben. Die Welt ist ein Dorf, das Internet ist die große weite Welt, und mancher Ort ist eine Insel. Da, wo wir uns wohlfühlen, da, wo wir gern leben, da sind auch unsere Kinder glücklich.

Unser Autor hat schon so ziemlich jede Wohnortgröße erlebt: geboren „aufm Dorf“, dann nach Bremen, Hildesheim, Valencia und wieder Bremen zum Studieren. Vor zwölf Jahren kam er nach Hamburg, um Journalist zu werden. Hin und wieder muss er aufs Land, um durchzuatmen, aber dann zieht es ihn wieder nach Berlin oder auf Reisen. Er findet: Wenn man bei sich ist, fühlt man sich überall angekommen.