Wie kommt das Baby in den Bauch? - Kita kinderzimmer Hamburg

Wie kommt das Baby in den Bauch?

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Vom Hier und Jetzt zum Gestern und Morgen.

Text: Catharina König

Bis Kinder begreifen, dass etwas auch schon vor ihnen existiert hat, dauert es eine Weile. Und dann irgendwann wollen sie oft ganz viel wissen: Wo komme ich denn her? Wieso wohnt Opa woanders? Und wie kommt das Geschwisterchen in Mamas Bauch? Das Begreifen der eigenen Geschichte und Herkunft mitsamt der Familie ist wichtig, um die eigene Position in der Welt zu finden. Das stärkt das Selbstvertrauen.

Alles findet im Hier und Jetzt statt. Zumindest für kleine Kinder. Was Erwachsene durch Yogapraxis, Meditation und Achtsamkeitsübungen zu erreichen wünschen, ist für kleinere Kinder der Normalzustand. Bis zum dritten Lebensjahr leben sie in einem Zustand der sogenannten ewigen Gegenwart. Erst nach und nach bildet sich die Fähigkeit zur Rückschau aus. Ab dem zweiten Lebensjahr etwa haben Kinder die Möglichkeit, sich zu erinnern. Ein perspektivisches zeitliches Denken ist kaum vorhanden. Für sie ist alles jetzt. Es war nicht, es wird nicht. Es ist.

Mit dem Beginn der Erkenntnis aber, dass Dinge auch einen Anfang und ein Ende haben, dass der dritte Geburtstag noch zweimal Schlafen hin ist und etwas irgendwo herkommt, setzt bei Kindern vermehrt das Interesse daran ein, wo sie selbst herkommen. Sehr stark sogar. Und somit auch unweigerlich das Interesse daran, wo Mama und Papa herkommen und wie es denn eigentlich möglich sein kann, dass die zwei nicht zusammen im Kindergarten waren. Die Äußerung überhaupt, dass Mama und Papa ja auch mal klein waren, versetzt ganz kleine Kinder in ungläubiges Staunen. Die waren doch immer schon groß!

Kinder begreifen allerdings sehr schnell, dass Babys aus dem Bauch kommen. Viele schlussfolgern und fragen dann: „Komme ich auch aus Deinem Bauch?“ Diese Frage sollte man auf keinen Fall abbügeln. Andererseits sollte man die Kinder nicht mit Informationen über Sex und erotische Gefühle von Erwachsenen überfrachten. Stattdessen erklärt man so sachlich und kurz wie möglich: Du bist in meinem Bauch gewachsen, bis Du zur Welt kamst. Kleinere Kinder werden sich damit oft begnügen.

Ältere Kinder wollen dann vielleicht noch mehr wissen, nämlich, wie sie in den Bauch gekommen sind und ob sie da schon Pipi gemacht haben. Oder wo sich das Geschwisterchen ankündigt. Hier können Bilderbücher helfen, die Erklärungen zu veranschaulichen, oder altersgerechte Sprache, die Dinge erklärt, aber nicht über das Gefragte hinausgeht oder die Kinder überfordert. Unweigerlich setzt bei vielen Kindern irgendwann nicht nur das Interesse dafür ein, wo sie herkommen, sondern auch, wer ihre Familie ist. Wer gehört dazu? Und wo kommen die her?

Irgendetwas und irgendwer waren vor meiner Zeit.

Dr. Dieter Lotz
Heilpädagoge und Professor an der Evangelischen Hochschule Nürnberg

Die Beantwortung all dieser Fragen ist für Kinder – und übrigens auch für Erwachsene – deshalb so wichtig, weil sie ihnen etwas darüber verrät, wer sie selbst sind. Anhand von biografischer Betrachtung lernen Kinder ihre Rolle in der Familie kennen. So können sie Selbstvertrauen gewinnen. „Wenn Kinder Interesse an ‚Früher-Geschichten‘ äußern, dann scheint in ihnen ein Bewusstsein von Geschichte aufzukeimen: Irgendetwas und irgendwer waren vor meiner Zeit“, erklärt Dr. Dieter Lotz, Heilpädagoge und Professor an der Evangelischen Hochschule Nürnberg.

Im kinderzimmer findet die erste Übung im biografischen Erzählen im Morgenkreis statt. Da können die Kinder von Erlebnissen am Wochenende berichten: dass sie vielleicht Oma und Opa getroffen haben, wo die wohnen und von wem Oma und Opa die Eltern sind. Bedeutsame Ereignisse und Erlebnisse werden so als zukünftige Erinnerungen festgehalten. Eine schöne Übung dazu ist auch der Erinnerungskoffer. Hier können Gegenstände oder Bilder reingelegt werden, die eine Geschichte haben. Die Kinder können anhand ihnen wichtiger Dinge erzählen, was sie erlebt haben, oder auch ein bestimmtes Tagesritual schildern. Durch die Erzählung wird Erinnerung geschaffen, die die Zukunft des Kindes prägen kann. Ältere Kinder kann man eine Art Steckbrief malen lassen: Das bin ich, das ist unser Haus, das ist Mama, das ist Papa. Geschwister und Großeltern können darauf ebenso stattfinden wie andere für das Kind wichtige Personen.

Alle haben ihre eigene Lebensgeschichte. Jedes Kind ist einmalig.

Was Kinder so ebenfalls lernen: Auch wenn sie in einem Gefüge aus Eltern, Geschwistern und Großeltern aufwachsen, vielleicht die Nase vom Papa und die Augen von Mama haben und das alte T-Shirt der Schwester auftragen, so sind sie doch einzigartig. Dieter Lotz erklärt den Nutzen der biografischen Betrachtung so: „Alles Typische kennzeichnet dieses eine Kind und macht das Kind unverwechselbar eigen: diese Großeltern, dieses Land, diese Familie, diese Wohnung. Mehr noch: Die Kinder haben teil an anderen, ihnen fremden Kulturen.“ Jedes Kind hat eine eigene Familiengeschichte, eine andere Art, Dinge zu erzählen, ein eigenes Lachen. Kurz: eigene Gedanken, Erlebnisse und Fähigkeiten, die jedes Kind einmalig machen.

Unsere Autorin, Mutter einer Tochter, musste dieser im letzten Urlaub im Familiendomizil die Ahnengalerie an der Wand aufsagen und kam ganz schön ins Stocken: Wer waren all diese Menschen – die ja mit ihr verwandt sind? Eine Erinnerung, den eigenen Stammbaum zu pauken.