Was brabbelst Du da? - Kita kinderzimmer Hamburg

Was brabbelst Du da?

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Text: Aljoscha Rieger

„Nein, ich will das nicht!“, ruft Lotta, weil Emil sie von der Schaukel schubsen will. Eine Situation, in der Lotta eine wichtige Grenze zieht. Sie hat sich selbst begriffen, kann ihre negativen Gefühle erkennen und verbalisieren. Dabei ist am wichtigsten, dass sie sich und ihrem Affekt Gehör verschafft hat. Emil versteht sofort und steht auf. Nach einer Weile entschuldigt er sich, sie umarmen sich, und Emil staubt vielleicht sogar ein kleines Küsschen auf die Wange ab. Eigentlich sind die beiden nämlich dicke Freunde, gerade weil beide ihren Gefühlen Ausdruck verleihen können. Sich so klar auszudrücken, das erfordert nicht nur ein bisschen Mut, sondern auch einiges an Training. Denn am Anfang tut der Kindermund nicht unbedingt gleich Wahrheit kund, sondern in erster Linie heilloses Gebrabbel. Und das ist wahnsinnig wichtig!

Sprache besteht aus einer Reihe von Lauten. Aus diesen Lauten werden zuerst Silben zusammengefügt, die ergeben dann Worte, und schließlich werden sie wie auf einer Perlenkette aufgereiht und ergeben einen Satz. So sollte das normalerweise laufen, ist aber leider nur die halbe Wahrheit. Denn ein großes Problem beim frühkindlichen Sprachverständnis ist die Einheitsbildung. Viele Menschen, besonders Eltern, gehen natürlich davon aus, dass sie rein, klar und verständlich sprechen. Tut nur leider fast niemand. Die einzelnen Laute – in der Wissenschaftssprache Phoneme genannt – überlappen sich sogar ziemlich häufig.

So wird aus einem „Kannst Du bitte Dein Zimmer aufräumen?“, das geschrieben klar getrennt ist, im Sprachverständnis nur allzu oft „Kannsu bitteein zimmerauf räum?“ oder ähnlich. Das ist nicht unbedingt eine Ermahnung an Sie, deutlicher und langsamer zu sprechen, sondern eher ein Appell, Verständnis zu zeigen, wenn Ihr Kind Sie nicht gleich versteht.

„Kannsu bitteein zimmerauf räum?“

Anfangs imitiert das Kind den Sprachbrei der Eltern und lernt dabei, Laute mit Emotionen zu verknüpfen: „MANANANANA!“ So klingt Mama, wenn sie wütend ist. „Babalabalabballaraaa. Bala. Ba.“ So erklärt Papa wieder, was da in der Zeitung steht. Durch die Brabbelei wird der Grundstein gelegt, die eigenen Gefühle mittels Sprache an die Umwelt weiterzugeben. Bei einigen Kindern werden dann schon ab sechs Monaten mit Wörtern, die sie zwar noch nicht produzieren, aber hören können, Dinge verbunden. Kinder, die einen Kranich sehen, aber das Wort „Ball“ hören, zeigen mehr Hirnaktivität, denn sie müssen grübeln: „Das passt doch nicht zusammen?!“

Wenn das Broca und das WernickeAreal, die beide im linken Teil des Gehirns rasend schnell wachsen und mit Inhalten zur Produktion und zum Verständnis von Sprache befüttert werden, schließlich so weit sind, dass die ersten klaren Wörter und einfache Satzbausteine rausgeplappert werden können, lernt das Kind etwas noch viel Wichtigeres: Ich werde gehört. Und was ich fühle, hat eine Konsequenz auf die Situation, in der ich mich befinde. Ein einfaches Beispiel: „Ich hab Hunger“ führt zumeist dazu, dass sich Mama und Papa schnell aufmachen und es eine tolle Leckerei aus der Küche gibt. Oder halt Erbsen. „Die mag nicht“ kann dann mit Glück den Effekt haben, dass man die Dinger nicht essen muss. Das ist aber von Fall zu Fall unterschiedlich.

Mamataub.

Und jetzt spricht die oder der Kleine also. Toll! Das heißt dann aber auch, dass das Kind mich versteht, richtig? Fast. Ein in letzter Zeit häufig benutzter Begriff, der beschreiben soll, dass viele Kinder vermeintlich nicht hören wollen, ist „mamataub“. Man bittet seinen Nachwuchs um etwas, und es passiert einfach nicht. Frustrierend. Sollte es aber nicht sein. Denn der Begriff ist sehr irreführend: Weder hat das Ausbleiben einer Reaktion mit Taubheit zu tun noch mit Nichthörenwollen. Denn Mütter und gleichermaßen Väter plappern den ganzen Tag wahnsinnig viel. Und genauso viel hat das Kind dann zu verarbeiten und vor allem Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Das ist eine riesige Aufgabe für einen kleinen Menschen. Erschwerend hinzu kommt dann oft, dass die Eltern ihr Anliegen auch noch schrecklich unpräzise vortragen, viel zu viele Wörter verwenden – und am häufigsten ihr Lieblingswort Nein. Doch wenn Lotta vor dem Essen Lust auf Vanilleeis hat und sagt: „Ich möchte jetzt Vanilleeis“, und Sie mit „Nein, das gibt’s erst nach dem Essen“ antworten, verneinen Sie das Bedürfnis des Kindes. Und das ergibt im Kinderkopf ja mal überhaupt keinen Sinn. Signalisieren Sie stattdessen lieber, dass Sie das Bedürfnis zwar erkennen, es aber erst nach dem Essen erfüllt wird. Bleiben Sie klar, oder verhandeln Sie mit Lotta, wie viel sie aufessen muss, bevor es Nachtisch gibt.


Und gönnen Sie den kleinen Kinderohren öfter mal meditative Stille statt Mama-Papa-Dauerbeschallung. Dann hört Lotta auch wieder hin, wenn’s was Wichtiges gibt.