Ist Oma jetzt ein Engel? - Kita kinderzimmer Hamburg

Ist Oma jetzt ein Engel?

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Wie spricht man mit Kindern über den Tod? Ein Interview.

Interview: Roland Rödermund Foto: Bernd Westphal

Oma ist „verreist“, Hasi ist „weggehoppelt“ … die schlimme Wahrheit möchte man Kindern oft ersparen. Aber: lieber nicht. Denn ein verquerer Umgang mit dem Thema Tod macht Trauer für Kinder noch schwerer, als sie es ohnehin schon ist.

Augen zu, Luft anhalten, Kopf unter die Decke. Bin ich jetzt tot? Oder so wie tot? Schon kleine Kinder haben ein großes Interesse am Thema Tod und bauen ihn in ihr Spiel ein. Über sinnliche Erfahrungen wird versucht, sich vorzustellen, wie das so sein könnte, wenn man nicht mehr lebt. Das sollte man als Erziehender aber nicht erschrocken abtun oder unterdrücken. Schließlich gehört der Tod zum Kreislauf des Lebens dazu.

Bloß: Wie redet man mit Kindern darüber? Was verstehen sie, was ist zu abstrakt und zu beängstigend? Erwachsene sind oft ratlos, wenn Kinder sie mit dem Thema konfrontieren, und geraten ins Stottern. Oder sind im schlimmsten Fall komplett überfordert mit der Situation: wenn ein Kind, wenn eine Familie trauern muss. Wie kann man mit einem solch schweren Thema umgehen? Wir haben dazu mit der Hamburger Kinder- und Jugendpsychologin Dr. Marion Pothmann gesprochen.

Sie berät und therapiert Kinder und Jugendliche, die einen Elternteil oder nahe Verwandte verloren haben, zum Beispiel ein Geschwisterkind – oder junge Menschen, die selbst schwer erkrankt sind und deshalb früh mit dem Thema Tod konfrontiert werden. Und sie berät auch deren Eltern. „Es wäre schön, wenn wir mit allen Kindern selbstverständlicher über den Tod sprechen würden“, sagt sie beim Gespräch in ihrer Praxis in der Hamburger Innenstadt (www.praxis-pothmann.de). Dort ist es hell, geräumig, und auf dem Teppich zieht man sich erst mal die Schuhe aus: Er ist nämlich die Spielfläche für die Kinder.

„Was ist Tod?“ Wie kann man kindgerecht einem drei- oder vierjährigen Kind diese Frage beantworten?
Da Kinder das erst mal noch nicht kognitiv, sondern sinnlich verstehen, würde ich Dinge sagen wie: Jemand lebt nicht mehr. Der kann sich nicht mehr bewegen, nicht mehr sprechen, und der kommt nicht mehr wieder. Sein Körper ist nicht mehr warm, und er kann auch nicht mehr mit Dir spielen. Das ist sehr traurig.

Ab wie viel Jahren haben Kinder von sich aus eine Vorstellung vom Tod?
Schon sehr früh. Sobald Kinder sich verständigen können, hören sie den Begriff auch und nehmen ihn auf. Oft haben sie dann noch keine genaue Vorstellung von der zeitlichen Komponente und der Unendlichkeit. Anfangs wird zunächst mal die Komponente der Trennung wahrgenommen, und erst im Laufe der Zeit entwickeln die Kinder eine Vorstellung davon, dass der- oder diejenige nicht mehr lebt und nicht mehr zurückkommt. Das kommt dann im Grundschulalter, in den frühen Entwicklungsphasen können Kinder die kognitive Komponente noch nicht begreifen. Aber sie spüren ganz viel, weil das Thema in dem Alter über die Sinne erfahren wird. Oft liegen Kinder beim Spielen ja plötzlich regungslos da und sagen: „Ich bin jetzt tot“, sie versuchen es am eigenen Leib durchzuspielen. Aber: Das ist gut! Denn auch Kinder müssen den Tod begreifen, das ist ein ganz normales Bedürfnis.

Und ab welchem Alter können Kinder Trauer wahrnehmen oder begreifen?
Kinder empfinden in jeder Altersspanne ein Verlustgefühl. Auch als Säugling, wenn sie sich noch nicht sprachlich ausdrücken können. Wenn ein Elternteil weg fällt, spüren Babys das bereits: Gerüche fehlen, Berührungen fehlen, da gibt es eine Veränderung, die das Kind spürt. Dann kann es schon sein, dass das Baby unruhiger wird, nicht mehr schläft, mehr schreit oder andere Verhaltensauffälligkeiten zeigt.

Es ist erstaunlich, wie gut Kinder mit Trauer umgehen.

Dr. Marion Pothmann
Dipl.-Psychologin für junge Menschen

Sollte denn auch jedes Kind, das trauert, eine Trauerbegleitung haben?
Nein, Trauer, Tod und Sterben sind an sich erst einmal nicht therapiebedürftig. Im Gegenteil: Es ist erstaunlich, wie gut Kinder damit umgehen. Viel besser als wir Erwachsenen. Das kommt zum einen daher, dass sie einen natürlicheren Umgang damit haben. Sie holen sich von sich aus die emotionale Unterstützung, die sie brauchen – das können Erwachsene häufig nicht. Deshalb erlebe ich oft Erwachsene, die sehr viel Angst haben, ob ihr Kind auch gesund trauert. Natürlich ist Trauer ein Zeichen von großer Not und großen Einschnitten, aber meist haben Kinder Ressourcen, die sie das Erlebte erstaunlich gut verarbeiten lassen.

Wie kann man als Eltern mit kleinen Kindern über dieses schwere Thema sprechen?
Meine Erfahrung ist, je früher und je normaler man mit ihnen darüber redet, desto besser. Dann ist es für die Kinder auch leichter, einen Verlust zu verarbeiten. Wenn wir Sätze sagen wie „Es ist nicht so schlimm“, dann signalisieren wir den Kindern einerseits: Doch, es ist ganz schlimm! Weil sie spüren, dass wir ihnen was vormachen, weil wir uns nicht trauen, sie mit der Wahrheit zu konfrontieren. Dadurch wird es für sie manchmal noch schlimmer. Andererseits führt ein verharmlosender Satz wie „Oma ist verreist“ eventuell dazu, dass Kinder sich bei der nächsten Dienstreise von Mama oder Papa große Sorgen machen, weil sie denken, er oder sie komme nie wieder. Dann verknüpfen sie Zusammenhänge falsch. Manche Eltern sagen auch, dass ein verstorbenes Haustier „über Nacht in Freiheit gehoppelt“ sei. Das ist ein Vertrauensbruch, der das Kind umso mehr trifft, wenn es ihn irgendwann herausbekommt.

Und wie kann man dem Kind das mit Oma erklären?
Ganz einfach so, wie es ist: „Oma ist gestorben, und sie wird auch nicht wiederkommen. Deshalb sind wir sehr traurig und weinen auch manchmal. Aber das gehört leider zum Leben dazu.“ Man sollte Kindern das Gefühl geben, dass Trauern wichtig und auch erlaubt ist.

Gibt es dennoch Dinge, vor denen man Kinder schützen sollte?
Zu krasse Emotionsausbrüche, würde ich sagen. Natürlich darf man weinen, das gehört zu den Emotionen dazu. Aber jedes Kind versucht, seine Eltern zu trösten, und da, wo ein Elternteil instabil ist, Stabilität zu schaffen. Darin sind Kinder unglaublich gut, auch schon mit ein, zwei Jahren. Das würde ich auch nicht verteufeln, es ist gut für Kinder zu merken, dass sie helfen können. Aber auf Dauer muss ein Kind merken: Meine Eltern schaffen das selber. Sie haben Freunde oder holen sich Hilfe, ich darf mal ein Taschentuch reichen, aber ich muss nicht komplett die Stütze sein.

Man muss es den Kindern so erklären, wie es ist.

Was hilft Kindern in so einem Zustand?
Ganz wichtig: sie erst mal in ihren Emotionen wahrzunehmen. Wie gehen Kinder überhaupt damit um? Verdrängen sie ihre Gefühle, weil sie noch nicht die Anzeichen einer bestimmten Trauerphase zeigen? Oder muss man sich keine Sorgen machen, weil Trauer bei Kindern wie Erwachsenen nicht linear, geschweige denn logisch verläuft? Oft sind Kinder sehr ruhig und sehr lieb, und man könnte meinen, dass sie hervorragend mit der Situation umgehen. Aber oft sind sie dann überangepasst, um den Eltern die Situation so leicht wie möglich zu machen. Das passiert zum Beispiel, wenn ein Geschwisterchen stirbt. Das hat auch Einfluss auf das übrig gebliebene Kind in der Familie. Hier haben Kinder doppeltes Leid: den Verlust des Geschwisterkindes und die große Trauer der Eltern, die sie mitnimmt.

Wann würden Sie eine Trauerbegleitung anraten?
Wenn ein solcher Zustand über mehrere Wochen oder Monate andauert oder das Kind sich richtig auffällig verhält, in Aggression verfällt oder extrem ängstlich wird, sich gar nicht mehr trennen mag, besteht die Gefahr, dass das Kind den nächsten Entwicklungsschritt nicht von selbst schafft. Dann sollte man genauer hinschauen und eine Trauerbegleitung in Erwägung ziehen.

Kinder haben eine erstaunlich hohe Resilienz.

Wie arbeiten Sie mit kleinen Kindern?
Ich rede erst einmal mit den Eltern, um herauszufinden: Wie geht die Familie mit der Trauer um? Oft löst sich erst beim Kind was, wenn sich die Eltern in Beratung begeben. Weil sie merken: Jetzt kümmert sich jemand anders um Mama oder Papa. Mit dem Kind selbst schaffe ich ganz viele Spielsituationen, dadurch werden Prozesse angeregt. Kinder haben, das stelle ich immer wieder fest, eine erstaunlich hohe Resilienz, also eine Kraft aus sich heraus, mit neuen Lebenssituationen umzugehen. Aber sie brauchen Zeit dafür und gegebenenfalls Unterstützung. Es ist ohne Zweifel für jedes Kind schlimm, wenn ein Elternteil oder naher Vertrauter stirbt. Aber es ist auch nicht unwahrscheinlich, dass ein Kind dieses später in sein Leben integriert.

Was ist noch wichtig?
Dass Kinder ihre Emotionen ausleben dürfen. Sie dürfen zum Beispiel ganz schrecklich wütend sein. Dinge zerstören oder ein anderes Kind hauen geht natürlich nicht, aber ein Kind darf in ein Kissen boxen und laut brüllen, wenn das Bedürfnis da ist. Man darf Gefühle nicht verbieten, man darf sie aber umleiten. Denn sie sind eine natürliche Reaktion auf Trauer, darin würde ich ein Kind nicht beschneiden wollen.

Wie hilft Religion bei der Trauerverarbeitung?
Das hängt vom persönlichen Zugang der Familie zu dem Thema ab. Man sollte Kindern nichts aufstülpen. Wenn sich ein Kind vorstellt, dass es irgend eine Art von Gottheit gibt, da ist Mama oder Opa jetzt, und die passen auf sie oder ihn und mich auf, dann erlebe ich oft, dass Kinder aus religiösen Familien gestärkter aus solchen Trauerphasen gehen.

Sollten wir mit kleinen Kindern generell mehr über das Thema Tod sprechen?
Unbedingt. Schon die kleinsten Kinder fragen ja danach. Wenn man Kinder davor bewahren möchte, bewirkt man eher das Gegenteil: Sie werden unsicher und ängstlich. Der Tod sollte behutsam Raum haben im Leben – bei allen Kindern.

Neulich erzählte ein Kollege, dass seine vierjährigen Zwillinge fragten, ob sie in Hamburg wohnen bleiben, falls Mama und Papa sterben sollten …
Eine gute Frage! Man könnte den beiden erklären, dass der Tod der Eltern sehr unwahrscheinlich ist. Ich male manchmal ganz viele Menschen auf und erkläre daran, dass nur einer von ihnen in nächster Zeit stirbt und die meisten erst mal weiterleben. Man könnte den beiden auch erklären, dass für sie auf jeden Fall bestens gesorgt wäre. Die Botschaft ist: Selbst wenn jemand stirbt, es geht weiter – geordnet. Das ist wichtig für Kinder.